Speiseplan der Roma schrumpft zusammen

Für die Bewohner der slowakischen Roma-Siedlungen ist die Vogelgrippe eine echte Bedrohung: Sie sind so arm, dass verendete Wildvögel, Hunde und Katzen ihre einzige Fleischquelle sind. Sollen sie hungern oder das Risiko eingehen?

PRAG taz ■ „Hunger ist ein strenger Herr“, sagt Karel Novák. Der tschechische Sozialarbeiter kennt das aus der Roma-Siedlung nahe der ostslowakischen Stadt Spišská Nová Ves, die er im Auftrag der Menschenrechtsorganisation „Mensch in Not“ betreut. Wie die meisten anderen der insgesamt 6.500 Menschen, die in den 46 Siedlungen im östlichen Zipfel der Slowakei leben, sind die Roma dort ganz unten angekommen. Sie essen auch „Haustiere wie Hunde und Katzen“, sagt Novák. Was sonst auf dem Speiseplan steht, ist nicht besser: Gerade in den Wintermonaten sind kranke und verendete Tiere aus Wald und Flur eine leichte Beute. Den Behörden waren die Roma lange Zeit ziemlich gleichgültig. Bis die Vogelgrippe kam.

Vor zwei Wochen wurden an der Donau im Süden und inmitten der slowakischen Hauptstadt Bratislava im Westen des Landes ein paar tote Vögel entdeckt. Die Fachleute haben nachgewiesen, dass sie mit dem H5N1-Virus infiziert waren.

Nun stehen die Politiker vor einem Problem. Das Wissen über die Vogelgrippe und ihre Gefahren ist in den Siedlungen gleich null, sagt der Roma-Experte Ratislav Pivon. „Am gefährdetsten sind die Roma in den ärmsten und unterentwickeltsten Siedlungen.“ Diese leben fern jeglicher Hygienestandards ohne Strom und fließendes Wasser mehr oder weniger in der freien Natur oder in behelfsmäßigen Holz- oder Wellblechhütten. Sie kommen oft mit verendeten Tieren in Kontakt. Vor allem die Kinder, die meist ohne Aufsicht den ganzen Tag draußen sind, sind gefährdet.

Die Behörden haben eine Informationskampagne gestartet – 50.000 Flugblätter wurden gedruckt, die jetzt in der Ostslowakei verteilt werden. „Nähern Sie sich keinen verendeten Vögeln“, steht darauf. „Grippe können Sie auch durch Einatmen von Staub aus den Federn bekommen.“

Das Risiko besteht nicht nur darin, dass die Roma tote Wildvögel oder andere Tiere anfassen oder sogar essen. Veterinärmediziner befürchten, dass verendete Tiere auch als Tausch- oder Zahlungsmittel eingesetzt werden – egal, ob es sich um Wild- oder Haustiere handelt. „Bei Tieren, bei denen Ansteckungsgefahr besteht, sollte sofort der ganze Schlag vernichtet werden“, warnt der Antropologe Pavol Mušinka von der Universität Prešov. Sonst würden sie sofort wieder auf dem Schwarzmarkt auftauchen.

Ein weiteres Ansteckungsrisiko birgt Wasser: In der zweitgrößten Roma-Siedlung der Slowakei, in Chminianska Nová Ves nahe der ostslowakischen Stadt Prešov, sind 1.300 Menschen von vier Brunnen abhängig. Im Roma-Slum der Stadt Košice, der Siedlung Luník IX, haben die slowakischen Wasserwerke den 6.000 Bewohnern wegen Schulden die Wasserversorgung ganz abgestellt. Kein Wunder also, dass sich die Roma ihre gesamten Wasservorräte aus Seen, Flüssen oder Teichen holen.

Ob die Flugblätter der Behörden da etwas ausrichten können, bleibt abzuwarten. Neben der Armut gibt es ein weiteres Problem: Rund 60 Prozent der Roma aus den Siedlungen können weder lesen noch schreiben.

ULRIKE BRAUN