Zum Fahrkartenkauf bekehren

SCHWARZFAHREN In Hannover, der inoffiziellen Hauptstadt der Fahrscheinlosen, setzen die Verkehrsbetriebe auf Einsicht statt Strafe: Bei jugendlichen Schwarzfahrern, die zur Schulung kommen, wird das Verfahren eingestellt

Wenn Jugendliche mehrmals ohne Ticket erwischt werden, will die Üstra in Hannover jetzt Straffreiheit gewähren – Voraussetzung ist ein verpflichtender Crash-Kurs.

■ Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) baut ebenfalls auf Prävention bei Heranwachsenden. Er gibt das Buch „Wir fahren mit dem HVV“ für die Klassen 4 bis 6 heraus. Außerdem ist ein Kartenspiel namens „Schwarzer Peter“ geplant.

■ Die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) setzt auf ein Besichtigungsprogramm für Schulklassen, wobei auch Schwarzfahren und Vandalismus Thema ist. BEATE BARREIN

von BEATE BARREIN

Die 17-Jährige mit dem fuchsiafarbenen Twinset und den french-manikürten Fingernägeln blickt ungeduldig auf ihr Handy. Es ist 17 Uhr und eigentlich sollte der Unterricht jetzt losgehen. Doch erst drei von 20 eingeladenen Teilnehmern sind da. „Können wir jetzt nicht schon anfangen?“, fragt die junge Frau. „Es wäre nicht fair, wenn wir auf die Unpünktlichen warten müssten.“ Ihr Eifer sollte die Üstra freuen. Die Hannoverschen Verkehrsbetriebe gehen neue Wege, um jugendliche Schwarzfahrer auf den Pfad des Fahrscheinkaufs zu bringen.

Die Teilnehmer am Schwarzfahrer-Modellprojekt in Hannover sind mindestens dreimal ohne gültiges Bus- oder Bahnticket erwischt worden und unter 21 Jahre alt. Die Üstra erstattete Anzeige und die Staatsanwaltschaft Hannover ordnete den Pflichtunterricht an. Das Projekt, das die Jugendgerichtshilfe und die Üstra inhaltlich gemeinsam gestalten, läuft über zwei Nachmittage.

Zunächst werden die Teilnehmer von Sozialpädagogen in Kleingruppen angeleitet und erzählen, wie es ihnen mit dem Status „angezeigt“ geht. Außerdem werden sie über die rechtlichen Konsequenzen des Schwarzfahrens informiert und lernen, wie sie von A nach B kommen können, wenn ihnen mal das Geld für den Fahrschein fehlt. Hier liegt die Betonung auf „mal“, denn notorische Schwarzfahrer mit klarer Armuts- oder Drogenproblematik würden nach wie vor in Einzelgesprächen betreut, sagt der Leiter der Jugendgerichtshilfe Hannover, Kai Sieben.

Allerdings ist es in Hannover nicht immer leicht, an Fahrscheine zukommen, kritisiert Sascha Zastrow vom Fahrgastverband Pro Bahn Hannover-Region. „Fahrgäste müssen zum Teil einen erheblichen Aufwand betreiben.“ An einigen Haltestellen lägen die Automaten auf der anderen Straßenseite oder funktionierten nicht. Karten im Voraus zu erwerben, sei dort gar nicht möglich und in den Bahnen werde nicht verkauft. „Kunden haben sich bei Pro Bahn schon oft über das dadurch verursachte, ungewollte Schwarzfahren beschwert“, sagt Zastrow.

Die Üstra will mit dem neuen Programm die bereits angezeigten, jungen Schwarzfahrer rehabilitieren. Detailliert erklären die Dozenten ihnen die Fahrpreise und das Einnahmen- und Ausgabenverhältnis des Unternehmens. Ein scheinbar gelangweilter junger Mann mit tief gezogener Strickmütze erkennt bei den an die Wand gebeamten Zahlen, dass die Verkehrsbetriebe Verlust machen. Erklären kann er sich das nicht. „Die Üstra nimmt doch soviel ein durch die Tickets.“

Bisher haben rund 30 junge Menschen an dem hannoverschen Modellprojekt teilgenommen. Für Oberstaatsanwältin Irene Silinger ist es eines von mehreren Instrumenten der Jugendgerichte, die sich bei jungen Schwarzfahrern meist für Ersatzmaßnahmen entscheiden. „Besonders geeignet scheint mir hier die Beschäftigung mit dem Vergehen zu sein. Eine beliebige, gemeinnützige Arbeit würde speziell den Schwarzfahrern nicht so viel bringen.“ Nach der Teilnahme am Strafunterricht wird das Verfahren komplett eingestellt. „Im Jugendstrafrecht betrachten wir jeden Fall einzeln“, erklärt Detlef Süßenbach, Richter am Amtsgericht Hannover. „Diejenigen, die nicht erscheinen oder nochmals erwischt werden, kann ich durchaus nochmals zum Pflichtunterricht schicken oder zu einer weiteren Ersatzmaßnahme.“ Wenn parallel allerdings weitere Straftaten vorliegen, ist eine Gerichtsverhandlung mit Urteil unvermeidbar.

Erste Zahlen über den Erfolg des Modellprojekts sollen Ende des Jahres ausgewertet werden. Das Ergebnis entscheidet, ob Hannover sich wenigstens dieses Teiles seiner Schwarzfahrer und gleich gruppenweise entledigen kann. Der Bedarf ist groß, denn 2009 war etwa jeder Zehnte der 13.726 angezeigten Schwarzfahrer unter 21 Jahre alt. Die Üstra kontrollierte rund 3,4 Millionen Fahrgäste, das sind 41 Prozent mehr als der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) überprüft und 35 Prozent mehr als die Bremer Straßenbahn AG (BSAG). Die Kontrolldichte trägt schon seit Jahren zum unrühmlichen Titel „Hauptstadt der Schwarzfahrer“ bei und die angezeigten Mehrfachschwarzfahrer lassen mit etwa einem Drittel aller Straftaten die Kriminalitätsstatistik schlecht aussehen. Beides nicht zur Freude der Polizeidirektion Hannover. Kleiner Trost: Seit zwei Jahren sinken die Zahlen.