Die Luxus-WG für Berufsnomaden

AUS DÜSSELDORF CHRISTIANE MARTIN

Noch ist es ruhig in der großen WG-Küche. Ein paar Leute lümmeln an einem langen, schwarzen Holztisch, auf dem Bierflaschen, Zeitungen und zwei Laptops stehen. Zigarettenqualm hängt unter den roten Siebziger-Jahre-Lampen. Musik dudelt. Man unterhält sich, hängt rum und wartet darauf, dass es etwas zu essen gibt – typischer Alltag einer Wohngemeinschaft. Und doch ist hier in der Düsseldorfer Adersstraße einiges anders als in herkömmlichen WGs. Denn hier teilen sich nicht ein paar gut befreundete Studenten eine Wohnung, sondern 25 Menschen, die sich vorher nicht kannten.

Und trotzdem wirken die Bewohner des „WG-Cafés“ – wie sie selbst ihre Bleibe nennen – fast wie eine Familie. Als Klaus Moskop die Küche betritt, wird es sofort lebhaft. Er wirbelt einmal um den großen Tisch, begrüßt jeden Einzelnen, gibt hier ein Küsschen, klopft da eine Schulter. „Schatzi, wie schön dich zu sehen!“, ist Moskops Standardbegrüßung, die trotz der Floskelhaftigkeit herzlich klingt. Der kleine dynamische Mann in dunkler Stoffhose und blauem Pullover über weißem Hemd ist der Begründer dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft. Wie ein 68er sieht er nicht gerade aus. Aber die Kommunarden von damals nimmt er sich trotzdem zum Vorbild.

Die Idee zu einer alternativen Lebens- und Wohnform hatte der 42-Jährige vor eineinhalb Jahren. „Alleine wohnen ist doof“, sagte er sich damals. Und mietete die Räume eines ehemaligen Autohändlers in der Düsseldorfer Innenstadt, baute sie um und schuf eine Art Luxus-WG. Die Gemeinschaftsräume sind riesig und durchgestylt, mit orangen Wänden, schwarzem Ledersofa und teurer Espressomaschine. „Heutzutage folgen viele Menschen nicht mehr dem klassischen Lebenslauf: erst Ausbildung, dann Familiengründung und schließlich die feste Anstellung bis zur Rente“, so Moskop. Man lebe mal hier, mal da, müsse flexibel und mobil sein. Diesen Berufsnomaden vermietet er Zimmer in seiner WG – für kurze Zeit und nur übergangsweise oder auch für länger. Und mitten drin lebt er – als WG-Papa.

„Ich koch uns was Leckeres“, sagt Moskop in die Runde am Küchentisch und erntet Beifallsgemurmel. Denn die Köchin, die sonst das Abendessen bereitet, hat für heute abgesagt. Ihre Dienste wissen die Bewohner sehr zu schätzen. Für drei Euro bekommt jeder, der will, eine warme Mahlzeit. Auch eine Putzfrau kommt täglich. Die lästigen Kriege um ungespülte Teller, Haare im Waschbecken und schmutzige Klobrillen gibt es hier nicht. „Nur ganz selten haben wir mal Ärger“, erzählt Moskop. „Wenn ich morgens Frühstück machen will zum Beispiel und die Bierflaschen vom Vorabend noch rumstehen, dann kann ich auch schon mal ausflippen.“ Aber meist sind „seine Kinder“ brav und jetzt freuen sie sich dankbar aufs Essen.

Die meisten sind zwischen 25 und 35 Jahre alt. Marketingexperten, Werbemacher, Juristen, Mediziner – die Gruppe um Moskops Küchentisch ist bunt. Viele sind neu in der Stadt, wollen schnell nette Leute kennen lernen und lieben den gehobenen Standard, den das WG-Café bietet. „Ich bekomme nicht nur einfach ein Zimmer, sondern jede Menge Extras“, sagt Christian, der seit sieben Monaten in der Wohngemeinschaft lebt. „Telefon und Internet sind umsonst und das Frühstück am Wochenende auch“, erklärt er. Dafür zahle er gern auch etwas mehr als üblich. Immerhin kostet ein Zimmer zwischen 335 und 435 Euro inklusive Nebenkosten und ist maximal 20 Quadratmeter groß. „Am wichtigsten ist mir aber die Community, die ich hier geboten bekomme“, sagt der Volkswirt, der nach seinem Studium in Frankfurt am Main jetzt seinen ersten Job in Düsseldorf hat. Einige von Christians Mitbewohnern nicken zustimmend.

Die Küche füllt sich zusehends mit Menschen – auch weil der Geruch von Spinat mit Knoblauch, gebratenem Fleisch und frischen Ravioli durchs Haus weht. Das Essen ist fertig und Moskop serviert in der ihm eigenen Art. Ein bisschen hektisch, aber immer darauf bedacht keinen zu übersehen. Gäste werden selbstverständlich mit bedient. Heute sind das vier Jugendliche, die ein bisschen schüchtern am Tisch sitzen und das Treiben bestaunen. Sie sind gerade hereingeschneit, hatten Schnappi, den frechen WG-Hund, auf der Straße aufgesammelt und abgeben. „Kommt doch rein! Wollt ihr was trinken? Ihr müsst unbedingt meine Pasta probieren“, hatte Moskop die Hunderetter zum Bleiben gedrängt. Jetzt, wo der Küchentisch voll ist, lacht er zufrieden. „Hier ist wieder was los!“

Moskop liebt das. „Ich bin froh, dass ich daran teilhaben kann“, sagt er später, als er draußen frische Luft schnappt. Die WG sei kein Geschäft, mit dem er viel Gewinn mache, beteuert er. Das sei sein Leben. Geld verdient der gebürtige Sauerländer mit Internet-Marketing. Aber seine Idee mit der Riesen-WG expandiert und könnte vielleicht doch noch zur Goldgrube werden. Die Warteliste mit potenziellen Bewohnern ist lang und neue Zimmer in benachbarten Häusern sind schon angemietet – dank eines Schildes, das er im Fenster stehen hat: „Miete jede Wohnung in der Adersstraße!“

Und es melden sich nicht nur Vermieter und Mieter bei ihm. Ein Typ schlendert an Moskop vorbei und sagt: „Hey, du bist doch der, der Wohnungen sucht. Brauchst du nicht auch jemanden, der die renoviert?“ – „Klaro! Super!“, kontert der WG-Macher im selben Jargon. „Genau dich suche ich. Kommst du morgen zum Frühstück? Dann können wir das besprechen!“ Klaus Moskop scheint alles im Vorbeigehen zu managen. Er atmet noch einmal tief durch, lacht zufrieden und geht rein.