DIE ACHSE DES BRITISCHEN HIPHOP VON UH-YOUNG KIM

Nächstes Wunder, bitte

Seit Londoner Dreikäsehochs mit Piratensenderdiplom der Reihe nach bei Majors landen, ist Rap aus Großbritannien nicht länger das schwarze Schaf des HipHop. Im Gegenteil: Während sich der große Bruder aus den USA zwischen Karikatur und Beamtentum verliert, spuckt die Grime-Szene Woche für Woche ein neues Wunderkind aus. In der Reihe Dizzee Rascal, Mike Skinner alias The Streets und Lady Sovereign macht es sich Kano in der Mitte bequem: nicht so krass wie Dizzee und vollkommen frei von Novelty-Faktoren, die vom Wesentlichen ablenken könnten.

Dabei hat Kano gute Chancen der LL Cool J des Grime zu werden: roh, ohne Berührungsängste zum Mainstream und hübsch anzuschauen. Eigentlich in galanter Britpop-Tradition hieß sein erster Straßenhit vor drei Jahren „Boys Love Girls“. Auf seinem Debüt „Home Sweet Home“ variiert der noch nicht mal Zwanzigjährige die Rapflows leichtfüßig und ohne Reibungsverluste zur Straße. Mit der Präzision eines Eminem reitet er souverän auf hakenschlagenden Bassgebilden zwischen Blade Runner, Black Sabbath und Caipirinha. Dabei zollt er weder den Pionieren des UK-HipHop Respekt, noch stellt er sich als jamaikanisch-stämmiger Brite aus Eastham in einen Rassen- oder Klassenkampf. Was zählt, ist einfach der bestmögliche Vers zur Zeit. Wie es schon im Albumtitel heißt, bleibt Kano dabei in seiner kleinen Welt – was ihn umso spannender macht. Ein alter Trick, der lange nicht mehr so frisch geklungen hat.

Kano: „Home Sweet Home“ (679/ Warner)

Der große Charismatiker

Grime ist nicht der erste genuin britische Rapstil. Neben diversen Dance-Hybriden hatte Ende der Achtzigerjahre ein aus harten Breakbeats und schnellen Raps formiertes Subgenre namens Britcore seine fünfzehn Minuten Berühmtheit. Vor allem aber hat Reggae über die verschlungenen Strömungen des Black Atlantic Spuren im britischen HipHop hinterlassen. Als einziger daraus hervorgegangener Star markiert Roots Manuva sowohl Höhe- als auch Endpunkt dieser Schule. So entledigte er sich zuletzt explizit vom Nischendasein: „I don’t care about UK Rap / I’m a UK black / making UK tracks.“

Dabei ist er nicht nur vom Sound, sondern auch von der jamaikanischen Veröffentlichungspraxis der Versions beeinflusst. Wie schon auf seiner Dub-LP von 2002 sind auf dem aktuellen Zwischenalbum „Alternately Deep“ unveröffentlichtes Material und Remixe versammelt. Von Ausschussware kann aber nicht die Rede sein. Über elaboriert entbeinte Dancehall- und HipHop-Tracks führt Roots Manuva HipHop zum Ursprung in der Soundsystemkultur zurück. Massive Bässe ebnen den Weg in Echokammern, in denen es aus der britischen Kolonialzeit in Jamaika widerhallt. Das Erbe der transatlantischen Basskultur wird mit Pop- und Pub-Appeal in die Gegenwart befördert. Die zeitenfaltende Spannung setzt sich auch in der Live-Umsetzung fort: Von einer Riddim Section lässt sich der lässige Exzentriker auch mal komplett in Pink gekleidet begleiten. Nur ein charismatischer Star wie Roots Manuva kann sich das erlauben.

Roots Manuva: „Alternately Deep“ (Big Dada/Ninja Tune/Rough Trade)

Der ewige Underdog

Während sich Grime-Kids eher der Clubkultur von UK Garage verbunden fühlen und der Star seine Roots in der Karibik verortet, lebt in Blade die klassischste aller HipHop-Geschichten fort: der Geburtsmythos der Kultur aus dem Geiste der Old School.

Im letzten Stück seines fünften Albums „Guerilla Tactics“ zollt der Underdog vom Dienst allen vergessenen Gestalten der ersten britischen HipHop-Generation namentlich Tribut. Die für sie konstitutiven „Fünf Elemente“ strukturieren das Album als Interludes. Dazwischen arbeitet sich der seit Ende der Achtzigerjahre aktive Underground-MC mit dem Endlosflow solide an den paradigmatischen Rapformaten ab: Battle, Posse-Track, Liebeslied und Sozialkritik.

Zum festen Repertoire der Altershelden haben sich in den letzten Jahren noch das Vatersein und der – natürlich gescheiterte – Flirt mit der Großindustrie gesellt. Umso überraschender ist die musikalische Dimension: Neben den üblichen Funkbläsern und Breakbeats werden obskure Samples aus dem Psychedelic Rock ausgebuddelt.

So sehr die Standhaftigkeit von Blade über die Jahre hinweg auch beeindruckt, so verloren steht er mittlerweile im Schatten von Grime-Explosion und Pop-Ambitionen da. Mehr noch als in anderen Genres scheinen HipHops Obsessionen mit Jugend und Erfolg ungeeignete Voraussetzungen zu sein, um in Würde zu altern. Aber unterhalb des Mainstream-Radars gibt es auch für das Auslaufmodell des HipHop-Pioniers einen Platz – wenn auch einen überschaubaren.

Blade: „Guerilla Tactics“ (691/Indigo)