Ausflug in den Kalten Krieg

DDR-BUNKER Paul Bergner führt Besucher durch den einstigen Schutzraum des Innenministeriums. Viel Sicherheit hätte der im Ernstfall nicht geboten – es wäre schnell unerträglich heiß geworden

„Wenn die Tür zugeht mit dem berühmten Blub, dann ist das ganz eigenartig“

AUS FREUDENBERG MARTIN SCHWARZBECK
(TEXT) UND ROLF ZÖLLNER (FOTOS)

Nirgendwo auf der Welt ist es dunkler als hier. Die Luft ist kalt und feucht. Das einzige Geräusch ist das Atmen vieler Menschen. Plötzlich flammen Lichter auf und zeigen rechts wie links einen Gang, der sich im Dunkeln verliert. Wie Waffen richten die Männer die Lichtkegel ihrer Stablampen aufeinander und in die Umgebung. „Wir haben unseren Führer verloren“, sagt einer.

Dabei haben sie am Eingang des ehemaligen Bunkers des DDR-Innenministeriums in Freudenberg, 30 Kilometer nordöstlich von Berlin, extra eingetrichtert bekommen: „Wer sich verläuft, kommt erst im Spätherbst wieder raus.“ Dann gibt es die nächsten Führungen durch den Bau, von dem aus der Innenminister und sein Stab im Ernstfall versucht hätten, die polizeiliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Ernstfall, das hieß die nukleare Auslöschung Deutschlands, wie sie im Kalten Krieg des Öfteren zur Debatte stand.

„Das Interesse an der Geschichte ist offensichtlich groß“, sagt Bunkerexperte Paul Bergner, Alter „70 plus“, und beleuchtet die Gesichter seiner Zuhörerschaft mit der Stirnlampe an seinem Helm. In Gruppen von 6 bis 25 Interessierten führen er, sein Schwiegersohn und seine Enkel am Wochenende 100 Besucher durch den Bunker. Kostenpunkt pro Person: 10 Euro. Die Gäste sind zum großen Teil Männer gesetzteren Alters. Sie tragen Parkas oder Lederjacken, viele Schiebermützen sind zu sehen und viele Tarnfleckmuster.

Kennerhaft ruckeln die Männer an Steckern und tauschen ehrfurchtsvoll wispernd Fachwissen aus. „Man kennt sich unter Bunkerleuten“, sagt Balu, 42, einer der Jüngeren. Freundschaft sei das nicht immer. „In der Szene fliegen regelmäßig die Fetzen“, sagt auch Bunkerführer Bergner. Jeder will besser wissen, wie die Komplexe ausgestattet gewesen seien.

Paul Bergner fühlt sich unter Tage sichtlich wohl. Er hat der DDR 43 Jahre lang gedient, bei der Nationalen Volksarmee (NVA), der Volkspolizei und der Stasi, und er war bei Übungen des Öfteren im Bunker. Bergner kennt das Eingesperrtsein, seit er als Kind amerikanische und russische Bomben im Schutz von Kellern überlebt hat. „Wir wussten ja schon Bescheid: Wenn die Punkte am Himmel größer wurden, sind wir zur Treppe gerast und auf dem Schutt in den Keller gerutscht“, erzählt er.

Besonders lange hätten es die Leute von der Führungsetage in ihrem Bunker aber gewiss nicht ausgehalten. Der Bau in Freudenberg ist Schutzklasse E, das ist in hochoffiziellem Jargon ein „geschützter Keller“. „Das schießt man mit ner 152er frei“, weiß Ex-Artillerist Bergner zu berichten. Zudem gebe es hier nur einen „Scherzartikel von Dekontaminationsschleuse“. Bergner sagt: „Ich hab auch ’nen Atombunker zu Hause, da lager’ ich meine Kartoffeln drin, es muss nur weit genug entfernt einschlagen.“

Der Bau in Freudenberg war zum Schutz von Menschen und der innerstaatlichen Ordnung der DDR gedacht; das Einzige, was darin tatsächlich überlebt hat, ist der Schimmel. Der geweißte Beton und der grün lackierte Stahl sind gut erhalten, aber sämtliche Holzteile sind von einem Pelz überzogen. Verstreut finden sich noch Schränke, Feldbetten, Toiletten, Schreibmaschinen, ein Staubsaugerschlauch mit Bürste, Rohrsysteme und technische Anlagen, aus denen Kabel ragen.

Im Bunkerareal drei, dem Sitz des Ministers, stinkt es nach Fisch. Holztäfelung, Teppiche und Tapeten saugen die Feuchtigkeit auf; der Schimmel wuchert über Wände, Boden und Decke. Stellenweise steht das Wasser zentimeterhoch, Bretter sind darübergelegt.

Die Anlage wurde 1988 fertiggestellt – ist also noch relativ jung. Doch seit der Räumung durch die Bundeswehr 1992 steht der Bau leer. „Seitdem sind hier massenhaft Souvenirjäger und Altmetallsammler eingestiegen“, erklärt Bunkerführer Bergner den desolaten Zustand. Nach der Wende habe das Innenministerium der Bundesrepublik das Bauwerk zwar auf seine künftige Eignung hin untersucht, aber „die sanitären Einrichtungen haben die Kohl nicht zumuten wollen“, vermutet Bergner. Dabei habe es im Führungsbunker der „BRD“ nicht anders ausgesehen. Der Führungsraum des DDR-Innenministers sei sogar, „deutlich größer als der Kohls“ gewesen, sagt Bergner nicht ohne Stolz.

Endlose, stockfinstere Gänge und schwere Stahltüren verbinden die drei Bunkerteile von je 75 Meter Länge und knapp 14 Metern Breite. Darüber 45 Zentimeter Beton und 1 Meter Erde. In den Bunkerabschnitten erleuchten zum Teil Neonröhren die Szenerie. Der höchste der 63 Räume ist mit vier Metern das Lagezentrum. Darin ein halbrundes Podium; davor, ein paar Stufen tiefer, riesige weiße Tafeln, die im Raum nebenan mit Karten und Informationen bestückt und dann durch einen Verbindungsschlitz zurückgeschoben werden konnten. Aus einem anderen Raum wurden durch einen Vorhang und durch eine schmale Klappe die Nachrichten zur Ver- und Entschlüsselung gereicht.

Wie viele der heutigen Gäste der Anlage hat auch Detlev B., Mitte 50, bei Gefechtsübungen der Nationalen Volksarmee Erfahrung im Bunkerleben gesammelt. Die Tarnfleckjacke, die er trägt, ist seine Berufskleidung. Der heutige Bundeswehrsoldat, sagt: „Da drin gibt es wenig Luft, man hat ständig Körperkontakt, den man nicht will, absolut keine Freiheit mehr.“ Schlimm sei auch der Schlafentzug wegen der geringen Zahl von Ruheplätzen. „Wenn die Tür zugeht mit dem berühmten Blub, dann ist das ganz eigenartig“, sagt Detlev B. Die einzige Verbindung nach draußen sei dann der Funk in die hoffentlich noch intakte Welt. „Da kann man Angst kriegen, vor allem um die Angehörigen, die nicht beschützt werden“, sagt er.

400 Menschen hätten im Bunker in Freudenberg, abgeschlossen von der Außenwelt, drei Tage überleben sollen. Zehn Personen hielten das System permanent betriebsbereit. Essen stand in Konserven zur Verfügung, Strom konnten die mobilen Generatoren in der von dicken Stahltoren geschützten Garage produzieren. Eine Luftfilteranlage hätte chemische Kampfstoffe und Radioaktivität ausgefällt und zur Not Sauerstoff aus der Atemluft synthetisiert.

Tief im Innern der Anlage findet sich ein Isolationsraum für radioaktiv, chemisch oder biologisch verseuchte Insassen, die dort hätten sterben müssen, damit der Rest des Bunkers sicher bleibt. Das größte Problem in dem heute 8 Grad kalten Bau wäre die Hitze gewesen. „Jeder Mensch bringt 100 Watt; wenn er Angst hat, mehr“, erklärt Bergner. Einen Brunnen zur Kühlung hatte der Bunker nicht.

Beim Aufstieg an die Oberfläche sagt Lutz Friedrich, Bergners Schwiegersohn: „Da unten bekommt man ein ganz anderes Verhältnis zum Tageslicht.“ Und tatsächlich, draußen ist eine andere Welt. Rundum ein Kiefernwald, Sand und Wiesen. Nur zwei flache, unscheinbare Häuschen markieren den Verlauf des unterirdischen Labyrinths. Doch der Soldat Detlev B. hätte sofort Lunte gerochen. „Der Kasten da drüben ist ein Trafo, da fließen ein paar tausend Volt durch“, sagt er. Da sei gleich klar: „Das ist was Geheimes.“ „Schauen Sie mal“, sagt er und zeigt auf die Stacheldrahtzäune rings um das Gelände. „Die sind nach innen gebogen, damit denen die Polizisten nicht abhauen.“ Er lacht bitter.

B. ist erschüttert über das elitäre Sicherheitsdenken: „Die saßen im Bunker, und oben wären die Leute verreckt.“

■ Nächste Führungen im Herbst. Termine unter www.ddr-bunker.de