Der bekennende Idiot

BOTHO STRAUSS Das Elitäre fehlt uns, glaubt der Uckermärker Dramatiker. Aber was für die Kunst gilt, ist in der Politik falsch

■ ist Jurist, Politikwissenschaftler und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik (www.blaetter.de). Zuletzt erschienen von ihm „68 oder neues Biedermeier“ und „Die gefährdete Republik“ (beide Wagenbach).

Nein, der jüngste Essay aus der Feder von Botho Strauß ist kein Tabubruch von der Qualität seines Bocksgesangs aus dem Jahre 1993. Mit dieser „Tragödie“ – denn das bedeutet Bocksgesang im Griechischen – wollte der Dramatiker damals nicht nur die gesamtdeutsche Gegenwart kulturkritisch auf den Begriff bringen, sondern auch ganz nebenbei den Begriff der „Rechten“ rehabilitieren – und zwar just im Jahr der Abschaffung des Asylrechts und des Nazi-Anschlags von Solingen. Dies brachte ihm außer einschlägigem Beifall auch harte Kritik von links ein.

Doch auch Strauß’ neuer Artikel im letzten Spiegel hat es in sich. Unter der Überschrift „Der Plurimi-Faktor. Anmerkungen zum Außenseiter“ spitzt er seine Kulturkritik weiter zu und rehabilitiert eine dramatisch unterschätzte Figur: den Idioten.

Scharf wie kaum einer vor ihm kritisiert Strauß den „Markt des breitgetretenen Quarks“ und das Regime der Quote. Gegen die allgegenwärtige Feier der Vernetzung erinnert er daran, dass wirkliche Kunst stets aus Vereinzelung, ja Einsamkeit erwächst.

Dummdreister Kulturbetrieb

Und diese Erinnerung kommt völlig zu Recht: Gewiss, Zeiten höherer und niederer Kultur wechselten sich historisch betrachtet stets miteinander ab. Was aber das Besondere unserer Gegenwart ausmacht, ist die Dummdreistigkeit, mit der sich der Kultur- und Amüsierbetrieb selbst feiert und mit Preisen überschüttet. Und das Gefühl für das Besondere verloren hat.

Heute vergeht kein Tag, an dem nicht neue Helden und Titaninnen gekürt werden, seien es nun ältere Krimidarsteller oder jüngere Fußballspielerinnen. In dieser Totalität der Gegenwart geht jedes Gefühl für wahre Größe mehr und mehr verloren. Botho Strauß erinnert zu Recht daran, ähnlich wie unlängst Karl-Heinz Bohrer in seiner Rede auf die Verschwörer des 20. Juli, dass Tugenden wie Mut und Tapferkeit vor allem in nichtdemokratischen Zeiten nötig und in unserer postheroischen Ära allzu billig zu haben sind.

In künstlerischer Hinsicht gilt Ähnliches. Faktisch leben wir in einem Land, in dem inzwischen der „Tatort“ fast als Inbegriff der Hochkultur gilt. Dabei bietet jede neue Folge nur die ewige Wiederkehr des Gleichen.

Der „intellektuelle Götzendienst vor dem Populären“, so Strauß, macht das Breite zur Spitze. Unvergessen Marcel Reich-Ranickis empörter Ausruf, mit dem er einen ihm verliehenen Fernsehpreis öffentlich ablehnte: „Überall nur Köche“. „Die meisten zur obersten Interessensphäre zu machen“ – diese fatale Demokratisierung der Kunst ist für Strauß der ästhetische Urfehler, den er den „Plurimi-Faktor“ nennt.

Die entscheidende Frage lautet daher: Kann man, zwecks Abwehr dieser „anmaßenden Dürftigkeit“, in modernen demokratischen Massengesellschaften noch ein Sensorium schaffen für die Notwendigkeit des Solitären, ja des ästhetisch Elitären?

Die Würde des Idioten

Strauß’ Reaktion darauf ist das Lob des Außenseiters, ja sogar des Idioten. Desjenigen also, der sich ganz bewusst aus der Öffentlichkeit heraushält und in die Idioteia – das Private – zurückzieht. Damit verleiht Strauß dem Idioten eine ganz eigene Würde. Gegen die Kultur der absoluten Vergesellschaftung und der totalen Vernetzung kommt dem Idioten eine subversive, den herrschenden Stumpfsinn unterlaufende Rolle zu.

Doch was im Bereich der Ästhetik gilt – die Adelung des Solitären, des Privatiers –, wird im Bereich der Politik zum Problem. Demokratie ist ihrem Wesen nach antielitär. Die Mehrheit hat hier das Sagen. Schon Alexis de Tocqueville, der große Analytiker der modernen amerikanischen Massendemokratie, fürchtete daher die „Tyrannei der Mehrheit“.

Strauß’ Lob des Außenseiters geht hier nicht auf. Indem er „Diskretion zum Widerwort zu allem, was da läuft“, verklärt, negiert er die Eigengesetzlichkeiten von künstlerischer und politischer Sphäre. Das zeigt bereits ein kurzer Blick in die Geschichte: In der attischen Demokratie war der Idiot gerade jener Bürger, der sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmern konnte, weil er kein Staatsamt ausüben durfte. Damals also war der Idiot gezwungenermaßen der bloß private, unpolitische Mensch.

Wenn Strauß dagegen heute den freiwilligen Idioten feiert, wird sein Lob der Idiotie zum Lob der Reaktion und des Rückzugs aus der Demokratie. Strauß beerbt hier lediglich die fatale Tradition des ästhetischen Ekels am politischen Betrieb und der Durchschnittlichkeit seines Personals, die in diesen Tagen eines fast simulierten Wahlkampfs ohne echte Regierungsalternative ohnehin fröhliche Urständ feiert. Strauß’ Anmerkungen werden hier zu den larmoyanten Betrachtungen eines Unpolitischen.

Das dröhnt wie Nietzsche und Spengler und klingt doch nach einem, der sich in seinem Krähwinkel eingerichtet hat

Am Rand – wo sonst?

Schlimmer noch, hier kippt der bekennende Idiot Strauß selbst in die alberne heroische Pose: „Der heitere Idiot in der Welt der Informierten zu sein heißt, ohne eine Regung von Zukunftsunruhe, ohne Angst zu leben.“ Denn nicht nach vorn, wo Strauß ohnehin nur noch Verfall und Untergang wähnt, sondern zurück blickt der abgeklärte Idiot – mit der „Heiterkeit des Ungerührten“.

Das dröhnt pathetisch wie Nietzsche und Spengler und klingt doch nur nach dem Gratismut desjenigen, der sich wunderbar gemütlich eingerichtet hat in seinem künstlerischen Krähwinkel in der Uckermark. Wer wollte auch mit 68 noch die kommenden Schlachten fürchten? Zumal als bloßer Betrachter am heimischen Fernseher?

Wie hatte Strauß einst auf die Frage nach seinem Standpunkt geantwortet: Am Rand, „wo sonst soll man leben“. Wer dagegen politisch etwas bewirken will, muss sich einmischen, muss sich auch als Künstler – nolens volens – an die Sprache der Masse anpassen und für sie verständlich sprechen, um Mehrheiten zu gewinnen.

Der elitäre Ästhet Strauß mag das bedauern. Fest steht: Am Rande zu bleiben fruchtet politisch nichts. Ohne politische Einmischung ist in der Demokratie, im Gegensatz zur Kunst, alles nichts. Andernfalls bekommt auch der Idiot nur die Idioten, die er verdient. Das ist die Zumutung der Demokratie – gerade auch für ihre elitären Verächter vom Schlage eines Botho Strauß. ALBRECHT VON LUCKE