Die Angst der Polizei vor dem Bolzenschneider aus Pappe

KLIMA Prozess gegen Kopenhagen-Aktivisten wird vertagt. Klage beruht nur auf abgehörten Telefonaten

„Wir haben beschrieben, was hätte passieren können“

STAATSANWÄLTIN LINE STEFFENSEN

STOCKHOLM taz | An Fantasie fehlt es der dänischen Justiz jedenfalls nicht: Letzte Woche begann in Kopenhagen der Prozess gegen die Australierin Natasha Verco und den US-Amerikaner Noah Weiss. Beide sind im Zusammenhang mit dem Klimagipfel im Dezember der Anstiftung zu Straftaten angeklagt, die nie stattgefunden haben – und an denen beide sich allein schon deshalb nicht beteiligen konnten, weil sie von der Polizei in vorbeugende Untersuchungshaft genommen worden waren.

Im Vorfeld des Klimagipfels hatte die dänische Polizei eine umfassende Lauschaktion auf die Handys von KlimaaktivistInnen gestartet und hierbei auch die Gespräche und den SMS-Verkehr von Verco und Weiss, beide aktiv im BUND-Dachverband „Friends of the Earth“, abgehört und gespeichert. Hieraus versuchte die Polizei dann die Planungen für mögliche Aktionen herauszufiltern. Die Anklageschrift wirft ihnen Anstiftung zu Gewalt gegen Polizeibeamte und zu schwerer Störung der öffentlichen Sicherheit vor.

„Wir haben in eine Kristallkugel geschaut und beschrieben, was hätte geschehen können, wenn die Planungen verwirklicht worden wären“, erläuterte Staatsanwältin Line Steffensen die Vorgehensweise der Anklagebehörde. Eine so diffuse Anklage sei ihnen in ihrer Berufslaufbahn selten begegnet, beteuern hingegen die Verteidiger. „Angeklagt wird ja im Prinzip das, was die Polizei glaubt, dass die Angeklagten drei Monate lang gedacht haben sollen“, sagt Anwalt Steen Leonhardt Frederiksen: „Mit ihrem faktischem Handeln hat das überhaupt nichts mehr zu tun.“

Weil das Gericht trotz grundsätzlicher Bedenken der Verteidigung die Anklageschrift jedenfalls mit Einschränkungen zuließ, dreht sich das weitere Verfahren gegen die 34-Jährige und den 27-Jährigen nun um die Auslegung jedes Gesprächsfetzens und jeder SMS. Wie weit bei solch einer spekulativen Anklageschrift der Raum für Auslegungen ist, zeigte sich gleich zu Beginn des Prozesses. Da ging es um einen „großen Bolzenschneider“, über den zwischen den AktivistInnen ausführlich kommuniziert wurde. Verco und Weiss präsentierten dem Gericht den Bolzenschneider: Über 3 Meter hoch und aus Pappmaché.

Die Angeklagten versprachen, auf alle Unterstellungen und Vermutungen der Anklageschrift eine Antwort zu haben. Das wird länger als die ursprünglich geplanten zwei Verhandlungstage dauern, sah das Gericht bald ein. Und vertagte das Verfahren erst einmal auf Ende August. REINHARD WOLFF