„Ich bin ein pathologischer Optimist“

MEXIKO Paco Ignacio Taibo II ist politischer Schriftsteller. Sein Roman „Der Schatten des Schattens“ erscheint nun auf Deutsch

■  wurde am 11. Januar 1949 in Gijón, Spanien, geboren. Mit seinen Eltern zog er 1957 nach Mexiko, wo er bis heute lebt.

■  Er politisierte sich in der mexikanischen Studentenbewegung, die 1968 blutig niedergeschlagen wurde. Seine Romane sind ein Mix aus Abenteuergeschichte und Politthriller. Für seine Krimis erfand er den Privatdetektiv Héctor Belascoarán Shayne, den er im Korruptionssumpf von Mexiko-Stadt ermitteln lässt. Er veröffentlichte zudem „Das Jahr, in dem wir nirgendwo waren“. Es enthält Interviews mit kubanischen Kämpfern, die zusammen mit Che Guevara 1965 heimlich im Kongo intervenierten.

■  „Der Schatten des Schattens“ ist bei Assoziation A erschienen. Lesungen mit Taibo II: heute in Berlin (Schwarze Risse), Donnerstag in Köln (Stadtgarten).

INTERVIEW KNUT HENKEL

taz: Herr Taibo, im Jahr 2010 wird in Mexiko der 100. Jahrestag der Revolution gefeiert – auf dem Zócalo, dem zentralen Platz von Mexiko-Stadt, wird seit einigen Wochen eine Ausstellung zur Revolution gezeigt. Was halten Sie davon?Paco Ignacio Taibo II: Das ist ein schlechter Witz. Die jetzige Regierung wusste schlicht nicht, was sie mit dem historischen Datum und der Revolution machen sollte. Sie konnte sie schlecht ignorieren und musste sich irgendetwas einfallen lassen, wie sie mit dieser heißen Kartoffel umgehen sollte. Die Revolution umfasste schließlich auch radikale Elemente, zu denen man sich aber als konservative Regierung schlecht bekennen kann. Immerhin gibt es aber eine öffentliche Debatte über die revolutionäre Geschichte Mexikos, wer weiß, was sie hervorbringen wird. Als Mexikaner plädiere ich dafür, dass wir aus der Geschichte lernen – auch aus der Geschichte unserer gescheiterten Revolution. Wofür steht für Sie die mexikanische Revolution? Für vieles: für die erste Agrarbewegung, die Permanenz des Zapatismus, die Kampagne gegen die Diktatur, der Bruch in Rechte und Linke. Das waren sehr komplexe Prozesse, die ich auch in der Form eines Kriminalromans wie „Der Schatten des Schattens“ zu beschreiben versuche. Man muss die Geschichte doch erzählen, will man etwas aus ihr lernen. Wir müssen uns mit den dunklen Seiten des menschlichen Charakters, der in meinem Buch hoffentlich deutlich wird, beschäftigten. Da führt kein Weg dran vorbei.Ihr Kriminalroman „Der Schatten des Schattens“ ist gerade auf Deutsch erschienen. Was hat Sie dazu inspiriert?Der Roman handelt von den 1920er Jahren in Mexiko. Es war eine bittere Zeit. Denn damals entdeckte zumindest ein Teil der Gesellschaft, dass die Revolution ein kompletter Fehlschlag war und man nun von Neuem beginnen müsse.Sie schreiben, dass die Revolution von 1910 nicht vollständig war – was fehlte ihr dazu? Letztlich die Revolution! Die radikalsten Kräfte, die die Landreform durchsetzen und die Machtstrukturen ändern wollten, sie wurden besiegt. Was für eine Gemeinheit.Wie sind Sie darauf gekommen, die Geschichte in der Form eines Kriminalromans auferstehen zu lassen? Ursprünglich wollte ich eine Geschichte über vier zentrale Figuren erzählen. Das war damals etwas Neues für mich. Ich schrieb den Roman in den 1980er Jahren, und das war eine Herausforderung für mich. Ich wollte mehr als eine Hauptfigur plus Nebenpersonen konstruieren. Es sollten vier Figuren sein, von der jede etwas Entscheidendes zur Story beitragt, die sich ergänzen und interagieren. Da müssen Ihre Leser aber ganz schön auf Zack sein. Ach, die sind doch intelligent. Ich habe das Buch nun vor fast 25 Jahren geschrieben. Ich habe fest daran geglaubt, dass die Literatur von Dingen erzählen kann, die der Journalismus und die politische Analyse damals eben nicht erzählen konnten. Sie dürfen nicht vergessen, wir befinden uns in der politischen Realität Mexikos. Man kann in einem Roman über vieles sehr unterhaltsam sprechen, was sonst kaum öffentlich zu behandeln wäre. Mir gefällt das Buch auch heute noch außerordentlich gut. Es war die Phase, in der Sie auch noch als Journalist gearbeitet haben. Ein gefährlicher Beruf in Mexiko, damals schon, aber heute erst recht. Es war vor allem nicht leicht, es lässt sich ja nachlesen, damit genug zum Essen zu verdienen. Jenseits davon hat es mir immer gut gefallen, das Genre zu wechseln. Vom Journalismus zur Erzählung und von dort zum Roman – das ist abwechslungsreicher. Risiken gab es auch damals, nur waren sie vielleicht noch nicht so präsent. Gut, heute sind sie vielleicht noch einmal etwas mehr geworden. Aber ich erinnere mich noch gut daran, dass es in den 1970er und 1980er Jahren in Mexiko kaum möglich war, ernsthaft Journalismus zu betreiben. Warum spielen in vielen Ihrer Romane die Arbeitswelt, die Gewerkschaften eine zentrale Rolle? Das ist Teil meiner Verpflichtung als Bürger gegenüber der Gesellschaft, und die nehme ich ernst. Dieses Land erlaubt es einem aufrechten Menschen nicht, Romane zu schreiben, um sich ansonsten mit den schönen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Als mitfühlender Mensch muss man intervenieren angesichts der vielfältigen Machtmissbräuche. Mexiko wird immer öfter als ein Staat in Auflösung bezeichnet, wie beurteilen Sie die aktuelle Situation? Wir erleben eine tiefe politische Krise. Die staatlichen Apparate sind in Auflösung. Es gibt nur die Hoffnung, dass sich eine neue Gesellschaft von unten konstituiert. In der Hauptstadt ist dies regelrecht fühlbar. Hier wird offen über Sexualität, Religion, Geschichte debattiert. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue und mir sage, heute würde ich aber gern zu Hause bleiben, sagt mir das Spiegelbild: Vergiss es, geh raus und beteilige dich. In die Wirtschaft? Oh, ich schreibe nach wie vor für linke Bewegungen, gehe zu Treffen, Meetings, Konferenzen oder auf die Straße. Kürzlich habe ich eine Reportage über den Kampf der Elektrizitätsgewerkschaft geschrieben, die die Regierung von Felipe Calderón zerschlagen will. Das gehört auch dazu. Ich stamme aus einer proletarischen Familie – mütterlicherseits. Mein Vater hingegen stammt aus einer intellektuellen linken Familie. Ich arbeite seit den 1970er Jahren für Gewerkschaften. Ohne solche Bewegungen kein Fortschritt. Wie beurteilen Sie die Zukunft dieses Landes? Ich habe keine Kristallkugel und bin kein Prophet, bleibe aber ein pathologischer Optimist. Die Pessimisten leiden immer: vorher, während und danach. Pathologische Optimisten wie ich immer nur hinterher. Woran arbeiten Sie denn derzeit? Ich habe gerade einen neuen Abenteuerroman beendet, der im 19. Jahrhundert spielt. Ein Roman, der sehr erholsam war, denn ich habe vorher an einer dokumentierten und erweiterten Version der Biografie von Che Guevara geschrieben. In dem neuen Buch werde ich auch Karl Mays Old Shatterhand auftreten lassen. Warum das? Ich wollte einen katholischen Cowboy in meiner Geschichte haben, und so bin ich auf Old Shatterhand gestoßen. Der Roman spielt im Indischen Ozean und Shatterhand fungiert als Gesandter von Karl May. Er trifft auch Sandokan aus Malaysia, mehr kann ich jetzt aber nicht verraten. Schade.Dafür vielleicht das noch: Ich recherchiere auch gerade ein Geschichtsbuch, um die wahre Geschichte der Schlacht von Alamo zu erzählen. Und die wäre? Es gibt kaum ein historisches Ereignis, das so mythologisiert wurde wie die Schlacht von Alamo. Die US-Version ist nichts als Betrug und wurde in nicht weniger als 24 Filmen in die Welt posaunt. Darüber hinaus arbeite ich aber an vielen anderen Literaturprojekten.Wenn ich mich morgens an den Schreibtisch setze, entscheide ich, woran ich weiterarbeiten möchte. Diese Freiheit haben mir meine Leser geschenkt. Sie sind es, die es mir ermöglichen, vollkommen unabhängig arbeiten zu können. Ich habe dadurch eine große Entscheidungsfreiheit, und die genieße ich auch.