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: Dumme Vergleiche

Von transatlantischen Gräben und Reflexen – und wie man beides überwindet

Warum müssen Politiker hierzulande eigentlich in Debatten um Reformen immer die USA bemühen, um deutlich zu machen, was man ablehnt? Warum wird sich nicht mit Australien oder Großbritannien gemessen? Warum dient Amerika meist als erste negative Projektionsfläche?

In der Sozialstaatsdebatte warnt man vor amerikanischen Verhältnissen. In der Kulturdebatte vor amerikanischer Oberflächlichkeit. In der Debatte um die Föderalismusreform am vergangenen Freitag warnten Politiker vor der Vielstaaterei, laut Krista Sager von den Grünen ein „Blödsinn, der nicht einmal in den USA herrschen würde“.

Was will sie damit sagen? Zum einen, dass es in den USA im Gegensatz zu Deutschland viel Unsinn gibt (Antiamerikanismus alter linker Schule). Zum anderen offenbart sie damit ein eklatantes Unwissen über Amerika, von dem viele glauben, es gut zu kennen, nur weil man einmal als Student mit dem verrosteten Chevi von New York nach Los Angeles gefahren ist.

Bleiben wir kurz bei Frau Sagers Vergleich. Ja, die USA bestehen aus vielen Staaten. Das Land ist zutiefst föderal. Die Bundesstaaten genießen hier weitgehende Souveränität, Washington braucht man vor allem, um die Außenbeziehungen zu regeln. Ansonsten will man von Kongress und Weißem Haus in Ruhe gelassen werden. Die Staaten können über Bildungspolitik, Umweltschutz, die Todesstrafe, Abtreibung, Sterbehilfe und viele andere Lebensbereiche selbst entscheiden. Das ist gut so. Denn stellen wir uns vor, dies würde alles aus Washington übergestülpt, das in regelmäßigen Abständen von reaktionären Wirrköpfen geführt wird. Überhaupt ist es absurd, unsere mit Amerikas Vielstaaterei zu vergleichen. Deutschland hat bestenfalls die Größe eines US-Bundesstaates. Allein Kaliforniens Bevölkerung beträgt die Hälfte der deutschen Einwohnerzahl. Der Maßstab taugt also allenfalls, um Amerika mit Europa zu vergleichen.

Vielleicht sind diese wiederkehrenden Antiamerika-Reflexe etwas Unterbewusstes, vielleicht geschehen sie wider besseres Wissen. Was auch immer – mit diesem Unwissen wird polemisiert und zu Felde gezogen. Wenn man hierzulande nachweisen will, dass etwas wirklich verdammenswert ist, ist Amerika gerade gut genug.

Zwei Beispiele als Handreichung zur Vermeidung unhaltbarer Positionen. Erstens: Sollte jemand mal wieder in eine Diskussion um Verkehrspolitik abdriften und geneigt sein, seinem Gegenüber die miserable Fahrradsituation in den USA vor Augen zu halten – Vorsicht, man begibt sich auf Glatteis. Ich habe mich auf den Straßen Washingtons sicherer gefühlt als hier in Berlin, denn Amerikaner fahren viel vorsichtiger Auto. Zugegeben, im Mittleren Westen sind Fahrräder so selten wie Sonnenfinsternisse. Doch in den Großstädten an der Ost- und Westküste sind sie mittlerweile selbstverständlich. Es gibt Radspuren, Stellplätze usw. Und was nützen mir hier abgetrennte Radwege, wenn mich aggressive Autofahrer an der nächsten Kreuzung zur Vollbremsung zwingen? Und zweitens: Deutschland gilt oft als Dienstleistungswüste, verglichen mit dem Dienstleistungsparadies USA. Das ist Quatsch.

Zwar spricht die Sachbearbeiterin auf dem Einwohnermeldeamt nicht türkisch (aber auf vielen US-Behörden spanisch), doch behandelte sie mich stets freundlich und kompetent. Im Supermarkt bedient mich keine Verkäuferin mehr mürrisch, sondern höflich. Bei Kundennummern bekommt man freundliche Menschen an den Hörer, keine endlosen Automatenschleifen. Und Mitarbeiter von Elektronikgeschäften können sachdienliche Auskünfte geben, im Gegensatz zu US-Läden, wo ungelernte Verkäufer oft mit Ratlosigkeit glänzen. Zudem ist hierzulande der Service von Kinos, Fluggesellschaften und Immobilienmaklern ungleich besser.

Immerhin, ein Anfang ist gemacht. Neuerdings vergleicht man sich hier, vor allem in Sachen Bildung, gern mit Finnland. Also, liebe Deutsche: Freut euch, im Kino ein Bier trinken zu können, und hört auf, euch ständig in peinlichen Abgrenzungsversuchen zu Amerika zu bemühen.

Fotohinweis:MICHAEL STRECKBACK HOME Fragen zur Abgrenzung? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN