„Das Umweltrecht wird komplizierter“

Mit der geplanten Reform des Föderalismus erhalten die Bundesländer erheblich mehr Kompetenzen. Für den Rechtsanwalt Michael Günther führt das zu einem Wettbewerb unter den Ländern, der zu Lasten der Umwelt geht

taz: Herr Günther, die Föderalismusreform ist jetzt beschlossene Sache. Welche Auswirkung hat das auf unsere Umwelt?

Michael Günther: Das Umweltrecht wird komplizierter, widersprüchlicher und mit mehr Normen belastet, als es bisher der Fall war. Gut ist dies zunächst für uns Anwälte und die juristischen Fachverlage. Umwelt, Wirtschaft, die Raumplanung und die Verbraucher werden eher eine Verschlechterung erfahren. Andererseits sind aber auch Experimente und Innovationen denkbar, die eine behäbigere Kompetenzordnung nicht zulässt.

Das Wattenmeer ist anders als die Biotope in der Sächsischen Schweiz oder in der Stadt Berlin. Was ist an mehr föderalem Wettbewerb um Umweltstandards denn so schlecht?

Sich mit seiner Gesetzgebung an die jeweiligen Landschaftstypen anzupassen ist schon jetzt durch die so genannte Rahmengesetzgebung möglich und üblich: Der Bund beschreibt einen gewissen Rahmen, den die Länder nach ihren Besonderheiten juristisch ausfüllen. Bisher gelten zwei Regime. Erstens die konkurrierende Gesetzgebung, bei der Bundesrecht Landesrecht verdrängt. Das ist zum Beispiel in den Bereichen Atom, Bodenrecht, Tierschutz- oder Forstwirtschaftsrecht so. Daneben steht zweitens die Rahmengesetzgebung, in der sich der Bund mehr zurückhalten muss, etwa beim Naturschutz, der Landschaftspflege, der Raumordnung oder dem Wasserhaushalt. Durch die Föderalismusreform aber werden den Ländern wesentlich weitreichendere Rechte eingeräumt.

Was ändert sich?

Durch die Föderalismusreform wird den Ländern eine Art Parallelgesetzgebung zugestanden, faktisch eine Abweichungsbefugnis gegen den Bund. Anders ausgedrückt: Die Umweltgesetzgebung der Länder soll Vorrang vor der des Bundes haben. Das wird dazu führen, dass die Bundesländer in einen Wettbewerb um besonders günstige Konditionen für Gewerbeansiedlungen eintreten und Ausnahmetatbestände schaffen werden, um Investoren Standortvorteile anzubieten. Die anderen Bundesländer werden in diesem Wettbewerb nach unten natürlich nachziehen müssen. Bis ein neuer Ausnahmetatbestand den Wettbewerb aufs Neue eröffnet – eine Spirale nach unten …

die aber doch durch Mindeststandards der EU begrenzt wird?

Tatsächlich bekommt die EU durch diese Föderalismusreform eine größere Bedeutung – Deutschland verliert an Selbstständigkeit. Das von Europa vorgegebene Recht wird nicht mehr einheitlich umgesetzt, sondern in 16 verschiedenen Landesfassungen. Das Erstaunliche an der vorgelegten Reform ist: Alle wollen mehr Entbürokratisierung, vor allem für die Wirtschaft. Um die Blockade des Bundesrates gegen das Parlament aufzulösen, wird die Wirtschaft aber mit einer Bürokratieflutwelle überschüttet, die 16-mal höher ist als der aktuelle Pegel.

Landes-, Umwelt- und Bundespolitiker – alle weisen auf den Geburtsfehler der Föderalismusreform hin. Warum wird der nicht vermieden?

Weil man dann zu der Auffassung kommen könnte: Die Bundesländer sind überholt. Sie kosten viel Geld und nehmen kaum noch konstruktive Aufgaben wahr. Sinnvoller als die Föderalismusreform wäre es, die 16 Bundesländer in Regierungsbezirke umzuwandeln.

Sie finden also nichts Gutes an der vorgelegten Reform?

Doch, natürlich gibt es das auch. Die Konflikt- und Gestaltungsmöglichkeiten werden erweitert. Zum Beispiel die Volksgesetzgebung: Länder wie Bayern oder Hamburg lassen Volksentscheide zu. Bislang war deren Bedeutung wegen des Vorrangs des Bundesrechts gering. Wenn sich aber Landesrecht gegen Bundesrecht durchsetzt, dann kann das Volk die Umweltgesetzgebung auch gegen die Parlamente mitgestalten. Das könnte, zur Überraschung vieler, auch das Umweltrecht verschärfen.

Zum Beispiel?

Bayern entscheidet per Volksentscheid, dass die Massentierhaltung in Ställen mit dem Tierschutzrecht nicht vereinbar ist, oder der Katalog der gesetzlich geschützten Biotope und Landschaftsbestandteile wird erweitert. Überhaupt wird das Tätigkeitsfeld des Anwalts durch die geplante Föderalismusreform spannender und weiter.

Das klingt ja fast wie eine Berufberatung. Ist Jurist mit der Spezialrichtung Umweltrecht der Job der Zukunft?

Hat die Föderalismusreform einen noch dichteren Gesetzesdschungel zur Folge, werden davon vor allem die Anwälte profitieren. Weder der normale Bürger noch der Unternehmer, vielleicht nicht einmal die Verwaltung wird sich ohne sie zurechtfinden. Anwälte werden Pfadfinder auf verschlungenen Pfaden, sich auch selbst verlaufen und die Gerichte noch mehr beschäftigen als bereits jetzt. INTERVIEW:
ANNA DOBELMANN, NICK REIMER