Die Beautyfarmbohemiens

Kein Entwicklungsroman, sondern bös-exotische Oberklassenbeschau: „Im Sinkflug“ von Alexander Schimmelbusch

„Im Sinkflug“ ist kein Entwicklungsroman, bei dem man eine Person dabei begleitet, sicher zu landen. Alexander Schimmelbusch beschreibt in seinem Roman überhaupt keine Entwicklungen, er kommt gar nicht dazu. Gerade wenn man meint, einen Faden aufnehmen zu können, schüttelt es den Erzähler derart hasserfüllt und unduldsam, dass man jede Hoffnung auf kontinuierliche Textabwicklung fahren lassen muss und gerne fahren lässt, denn die Zornesausbrüche und fantastisch perversen Projektionen gehören zum Besten, was dieser Roman bietet.

Die Szenen, die Schimmelbusch beschreibt, können sich in ihrer Drastik ohne weiteres mit Bret Easton Ellis’ „American Psycho“ messen, mit dem entscheidenden Zusatz, dass Schimmelbusch obendrein die österreichische Wort-Kunst des zusammensetzenden Neubenamsens beherrscht. Der Ausdruck „Beautyfarmbohemien“ etwa sollte künftig zum allgemeinen Wortschatz gehören. Das Wort beschreibt präzise das Milieu, in dem sich der Roman bewegt. Schimmelbusch schreibt von eingebildeten, schwerreichen Vollidioten, die sehr gut wissen, dass sie keine sinnvollere Aufgabe haben, als sich mit 28-Dollar-Martinis zu betrinken. So ist der wesentliche Tagesordnungspunkt und Lichtblick im Leben eines Vorstandsvorsitzenden die Schikane der Angestellten. Martini, Golf und Langeweile also. Herzenskälte ist da ein reiner Hilfsausdruck. Und Stolz bedeutet, die Idee einer 19.-Jahrhundert-Boheme mit den Errungenschaften der modernen Körperpflege plus Zynismus durch die Wurstmaschine zu drehen.

Schimmelbusch lässt einen gebürtigen Wiener in Amerika herumreisen, dem Land der unbegrenzten Missverständnisse, das nicht zuletzt gerade deswegen Land der unbegrenzten Möglichkeiten genannt wird. Man folgt einem „Erfolgsdeutschen“, einem Säufer voller Hass, der auch von sich selbst zutiefst angewidert ist. Er hat nicht einmal mehr ein funktionierendes Sensorium für überbordende Langeweile und deren kurzzeitige Außerkraftsetzung, sondern nur noch ein Gespür für seine ungestillte und unstillbare Gier nach egal was.

Schimmelbuschs Held ist sich seiner Depraviertheit so sicher, dass jedes Verhalten beliebig ist. Ein Mord ist mindestens so langweilig wie ein neuer Morgenmantel, obwohl man angeödet zugeben muss, dass die Textilindustrie erstaunlich schmeichelhafte Oberflächen herstellt.

Wir erfahren von einer Sinnkrise, ausgelagert in Schichten, die man als Bücher lesender Normalbürger nicht kennt. Schimmelbusch operiert mit höflichem Abstand zur überall lauernden Gefahr, dem schockartigen Erkennen allgemeiner Sinnlosigkeit. Er berichtet Fantastisches über kindisches Verhalten in Luxusrestaurants und achtlose Verschwendung. Dies alles auf ein Normalleben heruntergebrochen wäre langweilig. Ein wesentlicher Teil des Romans besteht deshalb in der Schau des Exotischen. Es geht hier nicht um präzise Beobachtung, die Analysen nach sich ziehen würde, sondern um furiose Beschimpfungen, gesteigert zu tollwütiger Schaum-vorm-Mund-Rhetorik. Auch das ist exotisch.

Unabhängig von der exotischen Oberklassenbeschau handelt dieser Roman von seelischer Verlotterung. „Im Sinkflug“ ist ein böses Buch und deshalb manchmal sehr komisch. Für gute Menschen, die besonders gute Taten bewundern, ist es aufgrund seines deprimierenden Potenzials nicht zu empfehlen. Alle anderen werden dem jungen Luftschacht Verlag aus Wien und seinem Debütautor einen Glückstreffer attestieren.

GUSTAV MECHLENBURG

Alexander Schimmelbusch: „Im Sinkflug“. Luftschacht Verlag, Wien 2005, 178 Seiten, 19,90 €