Stolz und Vorurteil

ORTSTERMIN Das Europa-Center galt als Wahrzeichen Berlins. Jetzt bleibt nur trostloser Trash zurück

Kaum Menschen. Keine Jutebeutel, keine bunten Sonnenbrillen – keine Hipster

Wie Schutzschilde gegen eine neue Zeit hängen die Markenschriftzüge an der Westfassade des Berliner Europa-Centers: Kentucky Fried Chicken, Fitness First, dm. Aus den Lautsprechern vor Saturn tönt der ATC-Dance-Track „Around The World“. Millennium-Nostalgie mit trashigem Beigeschmack. „Super Cool. Seit 1965“, steht auf einem der Plakate, mit denen zurzeit für das Zentrum geworben wird. Der Versuch, den Shoppingcenterglanz der 60er wiederzubeleben.

Der Bau von 1965 strahlt gewollte Mondänität aus. Weltkugelbrunnen an der Westseite. Licht-Obelisk an der Südseite. Mengenlehre-Uhr an der Nordseite. Mercedes-Stern auf dem Dach. Im Eingangsbereich der Tauentzienstraße ein Stück Berliner Mauer.

Im Jahrzehnt des Mauerbaus galt das Europa-Center nach seiner Fertigstellung als Wahrzeichen Berlins. Als progressives Symbol im Kontrast zur reaktionären Mauer wurden Neubauten politisch gewünscht und gefördert. Das Europa-Center als Büro- und Einkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild war bis zur Wende eines der pulsierenden Zentren. Es markierte den Stolz, zur westlichen Welt zu gehören. Drüben der Osten, hier der Westen. Der Komplex als Trotzreaktion gegen Sozialismus. Dann kamen der Osten Berlins, die schnell wechselnden Epizentren einer jungen Metropole, und mit dem Stillstand war es vorbei.

Jetzt versucht man, mit Werbeplakaten die Zeit von damals wieder heraufzubeschwören – doch davon keine Spur. An dem Bau schlendern und hetzen Sightseeing- und Shopping-Touristen, Bauarbeiter und Geschäftsleute vorbei. An den Eingängen bricht der Strom ab: Büroleute mit Kippe und Kaffee, ziellos eintretende Touristen. In den kühlen Hallen des Europa-Centers scheinen die Zeiger anders zu ticken. Vielleicht liegt es an der Uhr der fließenden Zeit in der zweistöckigen Haupthalle mit ihrer grellgelben Flüssigkeit, die so trostlos vor sich hin plätschert.

Innenansicht: ein Kosmetikstudio, ein Schuhladen für Übergrößen, Klamottenläden mit engen, knallpinkfarbenen Kleidchen im Schaufenster. Touristen- und Krempelläden. Eine Welt ohne schwedische und spanische Ketten. Im Erdgeschoss neben einem Waffenladen und Games-Shop ein Irish Pub. Doch kaum Menschen. Asiaten, rucksacktragende Paare und Ku’damm-Touristen. Keine Jutebeutel, keine bunten Sonnenbrillen – keine Hipster. Zwischen Nagelstudios und Ramschläden klaffen leer stehende Geschäfte wie schwarze Löcher – über zehn sind es. „Mehr West-Berlin geht nicht“ – so ein anderes Werbeplakat. Der übertrieben hippe Style der knalligen Plakate unterstreicht die Hilflosigkeit angesichts des Absterbens des Ortes. Die glanzvollen Zeiten der Teilung will man krampfhaft zurück. Als Westberlin auf Fortschritt setzte. Als die heutigen Hotspots der Stadt noch graue DDR waren. Als die Coolness noch in den Händen des Westens lag.

Heute vom Glanz nichts mehr übrig. Über den weißen Fließen hängt der Geruch von Chlor, Putzmitteln und altem Zigarettenrauch. Blaue Neonbeleuchtung auf dem Boden, an den Wänden. Trash auf allen Sinneskanälen. ANIKA MALDACKER