Abseitsfalle für Pakistan?

Mohammad Riaz ist zufrieden: Seine Kinder sind gesund, seine Ernte konnte er zu einem guten Preis verkaufen. Im Haupterwerb näht er Fußbälle. Fairer Handel sichert ihn ab. Ein Hintergrundbericht

690 Stiche werden benötigt, damit aus 32 fünf- und sechseckigen Waben ein runder Ball entsteht

VON VOLKMAR LÜBKE

Mohammad Riaz lebt in Sialkot in Pakistan und näht im Haupterwerb Fußbälle. Hier werden rund zwei Drittel aller Fußbälle weltweit hergestellt – 25 bis 35 Millionen Stück pro Jahr. 690 Stiche werden benötigt, damit aus 32 fünf- und sechseckigen Waben ein runder Ball entsteht. Je nach Qualität kann ein geübter Näher drei bis fünf Bälle am Tag nähen. Die besondere Kunst besteht in der letzten Naht: Diese muss – nach Gefühl – durch andere Nähte hindurch erfolgen, ohne die Gummiblase im Innern des Balls zu beschädigen.

Nebenher baut Mohammad Riaz Getreide und Reis an. Seine gute Ernte verdankt er vor allem dem Fairen Handel: Vor sechs Jahren wurde sein Arbeitgeber, die Firma Talon, erster Partner des Fairen Handels in Sachen Fußbälle. Erster Kunde war co-op Italien, kurz darauf folgte das Fairhandelshaus Gepa (www.gepa3.de).

Immer wenn Mohammad Riaz einen Ball näht, der von einem ‚Fairen Kunden‘ in Auftrag gegeben ist, bekommt er einen Lohn, der rund 50 Prozent höher ist als der industrieübliche. Außerdem finanziert der Fair-Trade-Aufschlag ein Gesundheitsprogramm für alle, die an der Fußballproduktion seines Arbeitgebers beteiligt sind – denn Fair-Trade-Aufträge sind selten, das Nähen eines Balles für höheren Lohn fast so etwas wie ein Lotteriegewinn. Das Gesundheitsprogramm dagegen kommt kontinuierlich der ganzen Belegschaft zugute – und ist das erste seiner Art für Teilzeitbeschäftigte. Aus dem Talon-Sozialverein werden zudem Kleindarlehen finanziert, die es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen, sich einen Zusatzverdienst aufzubauen, denn das Nähen von Fußbällen ist Saisonarbeit: In einem Jahr mit Weltmeisterschaft gibt es viele Aufträge, in den Jahren dazwischen allenfalls Teilzeitarbeit.

Mohammad Riaz beantragte ein Darlehen in Höhe von rund 260 Euro und kaufte sich damit eine Bewässerungspumpe im Wert von 700 Euro. Zwei Drittel hat er bereits zurückzahlen können – daraus werden neue Darlehen finanziert.

Diese Art von Sozialprogramm ist allerdings eine eher seltene Ausnahme, obwohl die Fußballindustrie Pakistans seit sechs Jahren dabei ist, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Fußballhersteller in Sialkot kamen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich 1998 erstmals ins Gerede wegen des Einsatzes von Kinderarbeit. Allerdings hat die damalige Reaktion der Sportindustrie nur das Symptom, nicht die Ursache der Kinderarbeit bekämpft: Laut einer Studie der britischen Kinderhilfsorganisation Save the Children Fund ist Armut die Hauptursache von Kinderarbeit: Ende des letzten Jahrhunderts betrug der Anteil der Kinderarbeit zum Einkommen der Familien in Sialkot 25 Prozent. Die großen Fußballimporteure verlagerten als „Antwort“ auf die öffentliche Kritik das Nähen, das bis zum Bekanntwerden der Kinderarbeit in Heimarbeit erledigt wurde, in große Fabrikhallen. Dort verhindert ein Wächter am Eingang, dass jemand das Gelände betritt, der nur so aussieht, als ob er 16 oder jünger sein könnte. Problem gelöst? Für die Firmen vielleicht, nicht aber für die Familien, denn außer dem Einkommen der Kinder verloren die meisten auch noch die Einnahmen aus dem Teilzeitnähen der Frauen. Diese können fast nie in Fabriken arbeiten, wegen der Entfernung (bis zu eineinhalb Stunden Anfahrt) und wegen des muslimischen Umfelds. So haben die Familien doppelt verloren, und nur die Fair-Trade-Importeure waren bereit, einen höheren Lohn mitzufinanzieren, einen Lohn, der es zwei Erwachsenen ermöglicht, die Grundbedürfnisse ihrer Familien aus dem eigenen Verdienst abzudecken.

Das Gros der Sportartikelhändler drückt dagegen weiter auf den Preis. So wird die Fußballfertigung zunehmend nach China verlegt, wo einige der von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geforderten sozialen Mindeststandards schlicht nicht eingehalten werden (können), und wo es kein unabhängiges Monitoring gibt, aber wo ein paar Cent pro Ball gespart werden können. Auch Talon verlor vor wenigen Monaten seinen größten Kunden an Hersteller in China, die billiger sind.

Die nächste Sparmaßnahme ist der Ersatz menschlicher Arbeit durch Maschinen, der Faktor Lohn und das Thema Sozialstandards sind „erledigt“. Zunächst betraf dies nur billige Bälle: Nähmaschinen funktionieren nur mit weichen, dünnhäutigen Bällen. Die neueste Bedrohung für die Zukunft der Arbeitsplätze der Fußballnäher in Pakistan ist jedoch die Einführung eines qualitativ hochwertigen, maschinell produzierten Balles zur Europameisterschaft 2004 in Portugal: Der Roteiro von adidas ist nicht mehr vernäht, sondern ist (im Innenteil) gesponnen und außen verschweißt: Die so nachempfundenen Nähte sollen sicherstellen, dass das Flugverhalten des Balls dem eines handgenähten ähnlich ist. Bislang offensichtlich noch nicht mit umfassendem Erfolg, denn außer David Beckham vom englischen Team, der bekanntermaßen beim Elfmeterschießen haushoch daneben schoss, bekam der Roteiro von den Spitzenkickern überwiegend schlechte Noten.

Dessen ungeachtet hat jedoch die Fifa, der Welt-Fußballverband, der für die Regeln zuständig ist, im Herbst nach Euro 2004 die technischen Parameter für Fußbälle verändert, mit dem Ergebnis, dass zur WM in Deutschland im Sommer 2006 nur noch maschinell gefertigte Bälle das „Fifa approved“-Siegel werden tragen können – die Voraussetzung zur Zulassung für offizielle Turniere. Sollte sich so der maschinell hergestellte Ball durchsetzen, würde das in wenigen Jahren allein in Pakistan einer „roten Karte“ für rund 50.000 Näherinnen und Nähern gleichkommen.

Zum Glück lässt sich die neue Herstelltechnik nicht von heute auf morgen flächendeckend einführen – und ist derzeit auch noch zu teuer. Damit hat Sialkot – und der Faire Handel – noch ein paar Jahre lang die Chance, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Fußballnäherinnen und -näher in Pakistan beizutragen. Neuester und derzeit bester Fair-Trade-Kunde in Sialkot ist die Firma Fair Deal Trading aus Großbritannien, die per Internet auch in Deutschland präsent ist: www.fairdealtrading.de. Der Vertrieb erfolgt über das Körperbehindertenzentrum Karlshöhe in Ludwigsburg. Zu den ersten Kunden gehört die Quäker-Hilfe (Gründungsmitglied von TransFair), die zusammen mit dem World University Service 1.000 fair gehandelte Fußbälle für (geplünderte) Schulen im Irak gestiftet hat. Das Auswärtige Amt hat für die offizielle Sporthilfe der Bundesrepublik fair gehandelte Bälle in Schwarzrotgold bei Fair Deal Trading bestellt, und auch die Bälle für die Kampagne „WM-Schulen“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit stammen von Fair Deal oder Talon. Demnächst bietet Fair Deal auch Volley- und Beach-Volleybälle sowie Mini-Rugbybälle an. Auch an Fußballtrikots im Mannschafts-Set wird gearbeitet: Für diese wird es zwar auf absehbare Zeit kein TransFair-Siegel geben (da die Fair-Trade-Siegelinitiativen dafür keine Kriterien anbieten), aber die Trikots etc. kommen ebenfalls von Talon, zu Konditionen, die in einem bilateralen Abkommen den Fußballkriterien angeglichen sind.

Sozial verantwortliche Kunden können so durch Käufe bei Fair Deal Trading und anderen Fair-Trade-Lieferanten dazu beitragen, dass die Sozialkasse der fairen Fußball-Lieferanten in Pakistan noch einmal aufgefüllt wird, um etwa den Kleindarlehenfonds auf absehbare Zeit abzusichern, damit möglichst viele Kolleginnen und Kollegen von Mohammad Riaz die Chance haben, sich eine alternative Einnahmequelle zu schaffen, bevor ihre Nähkunst als „Belohnung“ für die verbesserten sozialen Arbeitsbedingungen von Maschinen wegrationalisiert wird.

Der Autor ist im Bundesvorstand der Verbraucher Initiative und Mitarbeiter der Kampagne „fair feels good“