Globales Lernen

INTERKULTURELLES Dem Verein Oriental Heritage Without Borders geht es um Durchlässigkeit und Austausch. Ausprobiert wird das mit einem „pädagogischen Koffer“ in einem Schulprojekt in Berlin und Brandenburg

„Wir möchten das, was wir im Studium gelernt haben, für unsere Vereinsarbeit nutzen, um das Wissen nicht im Elfenbeinturm zu lassen“

ORIENTAL HERITAGE WITHOUT BORDERS

VON PANIZ MUSAWI

Als 1978 Edward W. Saids „Orientalismus“ erschien, sorgte es für Aufruhr. In seinem Buch analysierte der palästinensische Literaturwissenschaftler den sogenannten Orient als Diskurs europäischer Denker und Literaten, die ein amorphes Gebiet, das dann Orient genannt wurde, mystifizierten, romantisierten, exotisierten und auch degradierten. Der Orient also: ein Konstrukt. Der Berliner Verein Oriental Heritage Without Borders (OHWB) – „orientalisches Erbe ohne Grenzen“ – hat sich nun der Bezeichnung „orientalisch“ bemächtigt. Ziel des Vereins ist es, das Wissen über das kulturelle Erbe der Region zu verbreiten, den interregionalen Dialog und interkulturellen Austausch hierzulande voranzubringen sowie den Schutz des materiellen und immateriellen Erbes in den entsprechenden Ländern zu fördern.

Vergangenes Jahr im Sommer haben sich die acht KoordinatorInnen des Vereins in Berlin zusammengefunden. Seit Anfang dieses Jahres erarbeiten sie Projekte, die unter anderem darauf abzielen, überhaupt erst ein öffentliches Bewusstsein für das kulturelle Erbe in der Region zu schaffen.

Die Beteiligten bei OHWB haben alle einen akademischen Hintergrund, sie kommen aus den unterschiedlichsten Fächern: Architektur, Denkmalpflege, Musikwissenschaft, Archäologie, Islamwissenschaft, Germanistik, Tanz und Internationale Beziehungen. „Wir möchten das, was wir im Studium gelernt haben, für unsere Vereinsarbeit nutzen, um das Wissen nicht im Elfenbeinturm zu lassen. Es ist uns wichtig, dabei als Kollektiv zu sprechen und Hierarchien abzubauen“, erklärt die Gruppe erst mal die konzeptionelle Einstimmigkeit. „Trotzdem können einige ihre Meinung besser durchsetzen als andere“, sagt dann einer. Was für ein allgemeines Lachen in der Runde sorgt. Und eine weitere Prämisse: „Vor allem sind wir nicht politisch. Jeder hier hat eine Meinung, aber das ist etwas Persönliches und findet keinen Raum in unserer Vereinsarbeit.“

Inspiration: die Vielfalt ums Kottbusser Tor

Den Dialog zwischen „Orient“ und „Okzident“ fördern will man bei OHWB zum Beispiel mit dem lokalen Projekt „KottiBuch“ in Berlin und Brandenburg. Der Name wurde dabei von der Vielfalt rund um das Kottbusser Tor in Kreuzberg inspiriert.

Die Gründe, warum Menschen aus dem „Orient“ in den „Okzident“ kommen, variieren, weiß man bei OHWB: „Einige wollen studieren oder suchen Arbeit, andere müssen fliehen. Menschen, die aus dem Okzident kommen und in den Orient reisen, tun dies dagegen meistens als Touristen oder Geschäftsleute.“ Jedenfalls werde es angesichts einer zunehmenden globalen Mobilität immer wichtiger, die eigenen kulturellen Werte und die der „Anderen“ zu erkennen und anzunehmen. „Wichtig ist, dass wir unsere eigenen Vorurteile, also die Stereotype und Klischees, die wir den anderen gegenüber haben, erkennen. Dann können wir erst versuchen zu überlegen, wie wir SchülerInnen auf ihre Zukunft als globale BürgerInnen kulturell vorbereiten können.“

Mitte Oktober läuft das Pilotprojekt in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Schule Berlin Zentrum und der Dorfschule Wallmow, eine Freie Schule in Brandenburg, an. Bis Dezember soll es dauern. Ausgangspunkt ist die Feststellung der Gruppe, dass viele Projekttage an Schulen bisher darauf ausgerichtet sind, über Migration und Flüchtlinge zu sprechen. Dabei blieben aber die Gruppen, um die es geht, das unbekannte „Andere“, und sie würden nicht als Teil der deutschen Gesellschaft wahrgenommen.

Daher hat man bei OHWB mit dem Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam und dem Entwicklungspolitischen Bildungs- und Informationszentrum sowie der Unterstützung von Engagement Global Berlin „innovative pädagogische Methoden und Lehrinhalte“ erarbeitet, um kulturelles Erbe zu erfassen.

Ein „Global Learning“. In der Theorie sieht das so aus, dass die SchülerInnen eigenständig forschen und „kulturelle BotschafterInnen“ werden sollen. Und die Beobachtungen, die sie in ihrer Umgebung machen, festhalten. „Doch bevor die Kinder mit dem Beobachtungsprozess anfangen, sollen sie versuchen, andere Kulturen zu verstehen. Dazu bieten wir ihnen Referate und diskutieren ihre Fragen“, heißt es seitens der Gruppe. Anschließend sollen die SchülerInnen in den Berliner Kiezen und eben in Wallmow recherchieren. Etwa Interviews mit dem Obstverkäufer am Hermannplatz führen oder die ApothekerInnen bei der Arbeit an der Ecke Sonnenallee fotografieren oder die Backgammon spielende Senioren vor einem Café in der Reuterstraße zeichnen. Und dann sollen die an dem Projekt Teilnehmenden überlegen, wie sich mit Hilfe von kreativen „Prototypen“ die Kluft zwischen Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Räumen verkleinern ließe. Der Prototyp, etwa neue Apps, oder klassisch, ein Theaterstück, wird dann getestet und gelangt schließlich, wenn er sich denn bewährt, in einen „pädagogischen Koffer“, den die SchülerInnen an ihrer Schule vorstellen.

Die Werkzeuge zum selbstständigen Lernen

Nun ist es keineswegs so, dass es gerade in Berlin einen Mangel an Projekttagen zu Menschenrechtsfragen oder globaler Geschichte gäbe. Der Ansatz von OHWB aber zeichnet sich dadurch aus, dass er SchülerInnen die entsprechenden Werkzeuge liefern möchte, um selbstständig zu lernen.

Vielversprechend jedenfalls klingen die Projekte in der Theorie. Inwieweit sie sich bewähren, muss sich jetzt zeigen. Die Grundidee aber leuchtet sofort ein: Nicht nur „der Westen“ soll den „Anderen“ kennenlernen, sondern auch die „Anderen“ sollen sich untereinander vorstellen. Und, mit Blick auf Edward Said, nicht zuletzt die Anregung, selbst den Schritt der Ent-Orientalisierung zu gehen