Wie der Preis zum Wein kommt

Promis kaufen Weingüter, Winzer werden Popstars: Wein ist Kult. Und was ist mit der Qualität?

■ lebt und arbeitet als Politik- und Weinjournalist in Berlin und Wandlitz. Im Mondo-Verlag Heidelberg erschienen von ihm „Das demokratische Weinbuch“ (2011) und „Der kulinarische Notfallkoffer“ (2012). Regelmäßig schreibt er auf seinem Blog genuss-ist-notwehr.de. Denn „Genussfähigkeit muss untrennbarer Bestandteil jeglicher emanzipatorischer Bewegung sein. Und der Kampf um Teilhabe an Genüssen steht auf der Tagesordnung.“

Es lebe die Blindverkostung. Dann kann der Saar-Riesling von Günther Jauch anonym beweisen, ob er seinen Mehrpreis gegenüber der Konkurrenz ohne Promibonus wert ist. Es schlägt die Stunde der Wahrheit für die teuren südfranzösischen Cuvées des Neurussen Gérard Depardieu. Und auch die neuen Popstars der deutschen Winzerszene wie Markus Schneider oder von Winning harren ihrer Prüfung. Gern stellen wir ein paar Nobodys daneben, einen Mittelrhein-Steillagen-Riesling von Jürgen Volk, einen Kékfrankos von Horst Hummel aus Ungarn und eine ebenfalls südfranzösische Cuvée von Cave de Lumières.

Das Ergebnis wird nicht überraschen. Die „Kultweine“ sind gut bis sehr gut, die Nobodys ebenfalls. Letztere kosten im Vergleich aber nur einen Bruchteil. Die Stars lassen sich ihren Nimbus gut bezahlen und verfügen über genug Möglichkeiten, ihre Produkte medial zu inszenieren. Und der Imagetransfer funktioniert. Man bestätigt sich seinen „gehobenen“ Geschmack mit dem Konsum angesagter und entsprechend teurer Weine. In diesem Bestreben werden wir rund um die Uhr bedient: Unzählige Bücher, Zeitschriften, Fernsehsendungen und seit einiger Zeit auch fast alle Tageszeitungen beschäftigen sich regelmäßig mit Wein als Lifestyle. Aspekte wie Qualität, Geschmack und Preiswürdigkeit werden dabei aber entweder ausgeklammert oder mit einem Schwall blumiger Worthülsen abgehandelt.

Beginnen wir daher mit dem Preis beziehungsweise dem Wert. Für eine verkorkte, etikettierte Flasche Wein sind weltweit inklusive Marketingaufwendungen, Abschreibungen, Neuinvestitionen (die teilweise durch Subventionen kompensiert werden) und angemessenem Gewinn ohne Weiteres Produktionskosten von unter einem bis – wohlwollend kalkuliert – 40 Euro denkbar. Bei seltenen Spezialerzeugnissen wie Trockenbeerenauslesen und Eisweinen mitunter sogar deutlich mehr. Der Endverkaufspreis wird – außer bei teilweise oder ausschließlich direkt vermarktenden Betrieben – ferner durch die Margen der Zwischen- und Einzelhändler in die Höhe getrieben. Im Preis eines Weins bilden sich damit Faktoren ab, die häufig nicht unmittelbar anhand der subjektiv empfundenen Produktqualität nachzuvollziehen sind. Der Einsatz von Vollerntern, Bodenlockerern und Entlaubern in großflächigen Weinfeldern ermöglicht andere Kalkulationen als die überwiegend auf reiner Handarbeit basierende Bewirtschaftung von Steillagen. Weitere objektivierbare Wertfaktoren sind etwa der Ertrag pro Hektar, der Aufwand für die Weinbergspflege, klimatische und rebsortenspezifische Ausfallrisiken sowie Art und Umfang der Weiterverarbeitung im Keller. Allein der Ausbau von Rotweinen in neuen Barriquefässern schlägt mit mindestens 2 Euro pro Flasche zu Buche, während der Einsatz von Holzchips oder künstlichen Aromen in Stahltanks nur Centbruchteile erfordert. Natürlich steigen die Ansprüche des Konsumenten an einen Wein mit der aufgewendeten Summe. Wer 5, 10, 20, 50 oder noch viel mehr Euro für eine Flasche Wein ausgibt, hat entsprechende Äquivalenzerwartungen. Doch besonders im oberen Preissegment ab 20 Euro geht es oftmals nicht um Wert oder Qualität, sondern um den – wie Karl Marx es nannte – „Fetischcharakter“ einer Ware, deren Preis sich komplett vom Gebrauchswert abgekoppelt hat.

Die Preisbildung wird in diesem Segment maßgeblich von Testinstitutionen wie Robert Parker bestimmt. Kein anderer hat den Weingeschmack und die Weinproduktion so beeinflusst. Der 1947 geborene US-Amerikaner steht auf alkoholreiche Aromabomben mit merklichem Holzeinsatz. Sein Punktesystem, mit dem er seine Tester Weine bewerten lässt, kommt den wachsenden Mittelschichten in Europa und anderswo entgegen, die Wein auch als Prestigeobjekt verstehen, als Zeichen, es geschafft zu haben. Parker erspart ihnen, Zeit für die eigene Geschmacksbildung aufbringen zu müssen; ebenso das eher mühsame Auseinandersetzen mit den traditionellen Weinkritikern, die ohne eindeutige Punktwertung auskommen. Autoritätshörig lassen sie sich von Parker-Punkten ihren Geschmack diktieren. Der gereckte oder gesenkte Daumen der Parker-Tester kann für unglaubliche Preiskapriolen sorgen. Als Parker im Jahr 2009 den 2000er Chateau Lafite aus dem Bordelais auf 100 Punkte hochstufte, explodierte der Preis pro Flasche von 138 auf 900 Euro.

Auch der Massenmarkt wird von den Testern bedient. Regelmäßig tauchen bei Discountern vor allem spanische Weine auf, die sich mit 90 bis 92 Parker-Punkten schmücken dürfen. Dabei soll es sich laut Ratingsystem um „outstanding wines of exceptional complexity and character“ handeln. Doch wer sich diese seelenlosen, aufgeblasenen Zeugnisse moderner Lebensmitteltechnologie zu Gemüte führt, wird wenig Unterschiede zu den undekorierten Konkurrenten vergleichbarer Machart finden. Allerdings bringen die Parker-Punkte 2 bis 3 Euro mehr pro Flasche.

Dieses Punktesystem funktioniert ungefähr so, als würde man eine Wagner-Oper unabhängig von der Qualität ihrer Inszenierung deutlich höher bewerten als die fein strukturierten Cellosuiten von Johann Sebastian Bach. Längst sind Scharen von „Flying Winemakers“ unterwegs, Oenologen, die Weine mit allerlei Tricks den gängigen Geschmacksvorstellungen für hochpreisige Produkte anpassen. Leichte, filgrane Weine werden seit Parker weniger nachgefragt.

Mit dem Geschmack oder einer irgendwie definierbaren Qualität haben diese Preise nichts zu tun. Das ganze Spiel findet aber auch einige Etagen tiefer statt. Wer es beispielsweise geschafft hat, in den noblen Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) aufgenommen zu werden, kann auch für relativ einfache Weine deutlich höhere Preise am Markt durchsetzen als andere Winzer. Bei qualitativ und von den Produktionskosten her vergleichbaren Steillagen-Rieslingen von der Mosel oder vom Mittelrhein bringt der stolze VDP-Adler auf dem Flaschenhals locker einen Aufschlag von 30 bis 50 Prozent.

Es gibt sogar ganze Regionen, die von einem „Exotenbonus“ profitieren. Im kleinen Anbaugebiet Saale-Unstrut (das auch Thüringen und neuerdings einige Güter in Brandenburg umfasst) kokettiert man erfolgreich mit den schwierigen klimatischen Bedingungen, um auch für müde Weine exorbitante Preise aufzurufen. Natürlich gibt es auch in dieser Region einige herausragende und viele gute Betriebe (Pawis, Lützkendorf, Gussek, Böhme, Frölich-Haake u. a.). Doch auch so manch pappig schmeckender „Kernling“ oder „Müller-Thurgau“ von der Saale oder gar Havel erzielt Preise, von denen richtig gute Produzenten in Baden oder der Pfalz nur träumen können. Der Preis ist also ein äußerst unzuverlässiger Indikator für die Qualität eines Weins, wenn man mal von Billigstangeboten der Discounter und Supermärkte absieht. Natürlich gibt es keinen vernünftigen Grund, in dieses Marktgeschehen regulatorisch einzugreifen. Wer seinen finanziellen Exhibitionismus und seinen Statusanspruch mit dem Kauf und Konsum schlechter und/oder absurd teurer Weine ausleben will, soll das tun.

Mit Geschmack oder gar Genusskultur hat das allerdings nichts zu tun. Weingeschmack hat man nicht, sondern muss ihn sich erarbeiten und vor allem immer wieder überprüfen. Wer Wein wirklich mag, und dafür gibt es viele gute Gründe, sollte sich die Mühe machen, ihn in seiner ganzen Vielfalt kennenzulernen, statt sich mit genormten „Trend-“ oder „Kultweinen“ abspeisen zu lassen.

Den „großen Wein“ an und für sich gibt es ohnehin nicht. Kein Wein passt gleichermaßen zum lauen Sommerabend auf der Terrasse und zum lauschigen Kaminabend, zur Begleitung einer Hirschkeule und zu einem Zander, zu thailändischen und zu süd-französischen Gewürzen. Wer sich auf „angesagte“ Güter, Regionen und Rebsorten reduzieren lässt, bleibt ein Geschmacksprimat. Und damit heißt die Losung: Probieren, was das Zeug hält.