Malen mit Licht

Utopische Sehnsucht oder schmückendes Design? Die Londoner Tate Modern inszeniert einen Dialog zwischen zwei verfeindeten Vertretern des Bauhauses – Josef Albers und László Moholy-Nagy

VON HARALD FRICKE

Sie haben sich nicht so gut verstanden. Als Josef Albers Mitte der Sechzigerjahre nach seiner Zeit mit László Moholy-Nagy am Bauhaus befragt wurde, fiel die Antwort eher schroff aus. Nein, mit Moholy möchte er auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden, erklärte Albers, „denn ich hasse diesen Mann, weil er niemals etwas Originelles zustande gebracht hat“. Offenbar war die eingeschworene Gemeinde, als die das Bauhaus mit seinen Künstlern, Designern, Lehrern und Architekten oft gesehen wurde, immer auch strategisches Bündnis. Ein Label, das sich nach außen prima vermarkten ließ, solange über die internen Streitigkeiten geschwiegen wurde. Im Zweifelsfall stand jeder für die gemeinsamen Ideale ein; praktisch aber ging man getrennte Wege. Oder wie Walter Gropius es 1919 in seinem Gründungsmanifest formuliert hatte: „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeiten ist der Bau!“ Wer dabei an welchem Stockwerk arbeitet, ist eine andere Sache.

Insofern muss man es Achim Borchardt-Hume als Kurator am Londoner Tate Modern hoch anrechnen, dass er mit seiner Doppel-Retrospektive von Albers und Moholy keine nachträgliche Eintracht liefert. Die zwölf Räume auf dem Parcours durch die Ausstellung sind streng biografisch strukturiert: Hier der am Expressionismus geschulte Albers mit seiner Vorliebe für filigrane Glasarbeiten und erlesene Materialien; dort Moholy, der in der Folge von Dada und Duchamp den Autor abschaffen möchte und 1922 für seine „Telefonbilder“ einem Schildermaler die Maße, Farben und geometrischen Figuren fernmündlich mitteilt.

Während Albers in den Dreißigerjahren auf robusten Holzschnitten optische Tricks ausprobiert, hat Moholy zu dieser Zeit bereits happeningartige Filme mit rotierenden Objekten gedreht, das Layout von Büchern revolutioniert und Texte mit Fotos zum dynamischen Erscheinungsbild montiert. Trotzdem blieb der aus Ungarn stammende Moholy ein ewiges Talent mit Hang zum Überbau, bis zu seinem frühen Tod 1946 an Leukämie im Alter von 51 Jahren. Das Essener Folkwang-Museum konnte noch in den späten Siebzigerjahren ein großes Konvolut seiner Fotos und Collagen ankaufen. Umgekehrt war der 1888 geborene Albers durchaus ein echter Popstar: Als er 1952 parallel in zwei New Yorker Galerien Ausstellungen hatte, brachte das Time-Magazin ein langes Porträt über den „granitic little man“.

In London reicht als Klammer, dass sich die Lebensgeschichten gleichen. Beide werden 1923 von Gropius als Lehrer für den Vorkurs ans Bauhaus nach Weimar berufen; beide werden nach der Schließung der Schule durch die Nazis baldmöglich emigrieren; und beide werden in den USA, wiederum als Lehrer an so prominenten Institutionen wie dem Black Mountain College und dem New Bauhaus in Chicago, die Nachkriegskunst mitprägen – Moholy mit seinen frühen Experimenten zur Farbfotografie, den technisch avancierten Lichtinstallationen und seinem Auge für intelligente, dazu massenhaft verwertbare visuelle Gestaltung; und Albers als Vorreiter einer genauen, psychologisch motivierten Analyse von Farben, die in seine minimalistisch und verschachtelt gemalte Rechteck-Serie „Hommage to the square“ mündet. Als Albers 1976 mit 88 Jahren stirbt, umfasst dieser letzte Werkblock an die tausend Gemälde und unzählige Grafikeditionen: eine perfekte Produktlinie, ganz im Geist des Bauhauses.

Man kann aber auch mit einigem Recht fragen: Wozu der ganze Aufwand, die zahllosen Leihgaben aus Washington, Los Angeles, Paris oder Bottrop? Schließlich findet selbst im Katalog keiner der eingeladenen Autoren eine wirklich zwingende Begründung dafür, die Arbeitsweisen von Albers und Moholy auf einen Nenner zu bringen. Sogar Hal Foster, der mit einem kühnen dialektischen Griff nachweist, dass die beiden Künstler nach ihrer Übersiedelung in die USA den, wie er schreibt, ursprünglich „sozialistischen Anspruch des Bauhauses“ in die pragmatische Variante eines Good Design für den Mittelstand überführt haben, kann dieser Spur nur auf getrennten Wegen folgen. Dann wird Moholy in seiner Faszination für Licht und Bewegung zum situationistischen Pionier, der die urbanen Räume aus Leuchtreklamen und Glasarchitekturen erforscht. Und Albers ist in seinem Beharren auf dem stets neuen, zufälligen und deshalb nie wiederholbaren Wechselspiel von Farben ein Meister der Gestaltung von Oberflächen.

Utopische Sehnsucht oder schmückendes Dekor? Tatsächlich ist die Kluft, die Foster andeutet, exemplarisch für Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Moholy will die schnelle Wandelbarkeit des amerikanischen Metropolenlebens mit den Mitteln der Fotografie erfassen und dabei, wie er es nennt, „mit Licht malen“; Albers hingegen sucht in der Rückbesinnung etwa auf mexikanische Malerei nach einer Art universellem Gesetz der Wahrnehmung, dass sich hinter der „Interaction of Color“, so auch der Titel seiner bekannten Studie, verbirgt. In der Zuspitzung heißt das: Moholy setzt in der Kunst auf Spontaneität und Ereignis, Albers auf den zeitlosen Charakter ihrer Wirkung beim Betrachten.

So viel Gegensatz, so viel Erfahrung. Dass aber das eine nicht ohne das andere zu haben ist, diese Erkenntnis wird überhaupt erst in jenem Dialog sichtbar, den die Tate-Ausstellung mit leichter Hand und präziser Hängung fast beiläufig inszeniert. Plötzlich funktioniert die Annäherung, ohne mit einer übergeordneten These winken zu müssen: Ob Fortschrittsenthusiasmus oder die quasi zenhafte, serielle Fertigung von Gemälden – Moholy und Albers scheinen einander fein zu ergänzen auf ihrem Kurs durch die hochindustrialisierte Welt. Beide sind sehr moderne Techniker der Ekstase: Moholy lässt die Apparate tanzen, bei Albers tanzt das Auge. Und London feiert einfach mit.

Bis 4. Juni, Tate Modern, London. Katalog: ca. 39 €