Mit rußgeschwärztem Gesicht

UMBRÜCHE Dass Filme in historischen Wendesituationen nicht nur dokumentieren, sondern selbst zu Akteuren werden, zeigt eine dreiteilige Reihe im Zeughauskino

Hanaan möchte als Bauchtänzerin Erfolg haben, trotz des moralischen Zwielichtes

VON BERT REBHANDL

Zu den Berufen, die 1989 mit dem Ende der DDR ausstarben, zählt wahrscheinlich auch der des Feinstrumpfveredlers. Für diese Tätigkeit, de facto ging es um das Färben von Nylonstrümpfen, wurde nämlich schon vor der Wende zu wenig bezahlt, und wer konnte, flüchtete sich in eine bessere Stelle, zum Beispiel als Hausmeister. So erzählt das jedenfalls ein Mann, den Helke Misselwitz für ihren Film „Winter adé“ vor die Kamera bekam, in einem Zugabteil auf einer Fahrt nach Ostberlin.

Es ist das Jahr 1988, von den revolutionären Ereignissen des kommenden Jahres ist nichts zu ahnen. Und doch sucht man diesen Film unwillkürlich auf Vorzeichen ab. Zumal er in einer Reihe mit dem Titel „Umbrüche“ gezeigt wird, in deren Zusammenhang der Kurator Tobias Hering ein besonders anspruchsvolles Thema gewählt hat: „Film als zeitgenössischer Akteur“. Das bedeutet ja nichts anderes, als dass Filme in historischen Wendesituationen nicht nur dokumentieren, sondern auch zu den Veränderungen beitragen.

Die drei Beispiele, die Hering ausgesucht hat, sind sehr interessant, weil sie keineswegs agitatorischen Charakter haben und auch auf Dramaturgien verzichten, die unmittelbar auf praktische Umsetzung (oder auf Gefühle von Ohnmacht) zielen. Stattdessen setzen sie auf einfache Umwertungen, auf eine Perspektive von unten, wie in „Hawi – The Juggler“ von Ibrahim el Batout, einem ägyptischen Film aus dem Jahr 2010, also ebenso ein Jahr vor der Revolution. Hier wird von einem Mann namens Youssef erzählt, der aus dem Gefängnis entlassen wird. Er durchquert nun, nach fünf Jahren in einer Einzelzelle, die Gesellschaft der Stadt Alexandria.

Hoffnung der Erneuerung

Ibrahim el Batout bediente sich bei „Hawi“ neorealistischer Strategien, er arbeitete mit nicht-professionellen Schauspielern, verzichtete auf ein ausgearbeitetes Drehbuch. All das stand im Dienst des Programms seines Films: jenen Leuten eine Präsenz zu verschaffen, auf die er seine Hoffnung einer Erneuerung der ägyptischen Gesellschaft setzte. Eine junge Frau namens Hanaan etwa möchte unter allen Umständen als Bauchtänzerin Erfolg haben, ohne dass sie sich durch das moralische Zwielicht irritieren lässt, in das sie von Sittenwächtern gestellt wird.

Den portugiesischen Film „Meus Amigos“ (1984) konnte ich vorab nicht sichten, doch deuten auch hier die auffindbaren Kritiken darauf hin, dass es sich um ein bedeutendes Dokument der letzten Monate vor dem revolutionären Umschlag von 1974 handelt. Es ist eine Zeit, wie so oft in Momenten historischer Zuspitzung, in der alle zu Intellektuellen werden. Das führt zurück zu „Winter adé“, in dem es nämlich durchaus auch Anhaltspunkte gibt, dass die DDR als Gemeinwesen einen Bestand hätte haben können, von den letztlich entscheidenden wirtschaftlichen Aspekten einmal abgesehen. Wenn man etwa Christine Schiele reden hört, damals 37 Jahre alt, zweifache Mutter, Arbeiterin in einer Brikettfabrik, dann meint man manchmal herauszuhören, dass es in der DDR einen Tonfall gab, eine spezielle Reflexivität im Sprechen über die eigene Situation, der sich unterscheiden lässt von dem geläufigeren Individualismus im Westen.

Es sind Nuancen, auf die es hier ankommt, und sie spielen wohl keine Rolle im Vergleich zu den Chancen, die Christine Schiele in der DDR nicht hatte. Mit rußgeschwärztem Gesicht blickt sie in die Kamera, eine veritable Ikone des Arbeiter-und-Bauern-Staates und zugleich Inbegriff dessen anachronistischer Strukturen. Das konkreteste vorrevolutionäre Erlebnis in „Winter adé“ schildert die Werbeökonomin Hillu, die von ihrer Auszeichnung mit dem „Banner der Arbeit“ erzählt, eine einsame Frau unter lauter Männern. Auch die Funktionäre sind allesamt männlich, und wie sie sich da präsentieren, das lässt einen merkwürdigen Gedanken durch Hillus Kopf schießen: „Ist das hier ein Königreich?“ In diesem Moment hat sie wohl begriffen, dass etwas anders werden muss.

■ „Umbrüche – Film als zeitgenössischer Akteur“, 28.–30. 8., Zeughauskino, Unter den Linden 2, Programm: dhm.de/kino