Bürgerkrieg im Adivasi-Land

Im Zentralindien werden Adivasi bewaffnet, damit sie gegen Maoisten kämpfen

BOMBAY taz ■ Mindestens 50 Menschen sind in den letzten fünf Wochen bei Anschlägen maoistischer Guerilleros im zentralindischen Unionsstaat Chhattisgarh getötet worden. So kamen am 8. März beim Angriff so genannter Naxaliten vier Bewohner des Dorfes Dewarpali um. Zwei Tage zuvor hatten mehrere hundert maoistische Guerilleros das Dorf Basuguda überfallen und sechs Bewohner getötet. Wenige Tage zuvor sprengten Naxaliten einen Bahnhof. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international äußerte sich inzwischen besorgt über die Sicherheit der Zivilbevölkerung.

Mit den Anschlägen reagieren die Naxaliten auf eine im Juni 2005 als spontanen „Volksaufstand“ deklarierte Kampagne der Landesregierung in Raipur. „Wenn die Massen ihre Stimmen erheben, ist es unsere Pflicht, eine Verteidigung auf Dorfebene zu organisieren“, meint Chhattisgarhs Polizeichef V. R. Rathore. „Wir können unmöglich mehr Polizisten stationieren und die Menschen schützen, ohne die Dorfbewohner zu organisieren.“ So werden ganze Dörfer entvölkert und ihre Bewohner in Lagern an Überlandstraßen zusammengepfercht. Sie werden von Paramilitärs bewacht und in Selbstverteidigung gedrillt.

Bisher sollen 15.000 Menschen aus 420 Walddörfern in solche Lager umgesiedelt worden sein. Dort werden junge Männer bewaffnet und beauftragt, Unterstützer der Naxaliten zu melden. Deshalb überfällt die Guerilla immer häufiger kleine Dörfer im dichten Dschungel und tötet mutmaßliche Polizeispitzel. Die Landesregierung nennt nur die Zahl der von Naxaliten Getöteten, über getötete Rebellen schweigt sie. Beobachter schätzen die Zahl der Toten insgesamt auf mehrere hundert.

„Trotz aller Angriffe auf Sicherheitskräfte und Dorfbewohner werden wir die Kampagne gegen Maoisten fortsetzen“, sagt Chhattisgarhs Regierungschef Raman Singh. Ein im Dezember 2005 im Eilverfahren verabschiedetes Gesetz stellt jegliche Unterstützung von Naxaliten unter Strafe. Journalisten, die einen Guerillaführer interviewen, drohen drei Jahre Haft.

Die Kampagne mit Namen „Krieg zur Reinigung“ wird außerhalb Chhattisgarhs sehr kritisiert. „Stammesangehörige werden gegeneinander aufgehetzt und als Schutzschild im Konflikt zwischen Sicherheitskräften und Naxaliten missbraucht“, schrieben indische Menschenrechtsgruppen im Dezember 2005. Der Chef der Nationalen Kommission für Adivasi, wie Stammesangehörige heißen, fordert eine Revision: „Statt die Adivasi zu schützen, bringt die Kampagne vielen den Tod.“

Chhattisgarh liegt im Herzen des indischen Stammeslandes. Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Adivasi, den Nachfahren indischer Ureinwohner. Jahrhundertelang lebten sie zurückgezogen in unwirtlichen Wald- und Gebirgsregionen. Seit der Kolonialzeit stehen ihre kleinen Gemeinschaften unter Druck. Die von Hindus als „unrein“ Verschmähten besitzen kaum Mittel zur Gegenwehr, wenn die Ressourcen ihrer Gebiete – Tropenholz, Bodenschätze, Wasservorräte – zur Ausbeutung freigegeben werden. Einzig die maoistische Guerilla der Naxaliten und Nichtregierungsorganisationen vertreten – sehr unterschiedlich – ihre Interessen. In der früher Bastar genannten Region bedrohen die Naxaliten seit mehr als 20 Jahren Beamte, Händler und Unternehmer. Doch die Unterstützung der Bevölkerung schwindet. Viele Stammesangehörige sind der Gewalt überdrüssig.

Dies machen sich Regierung, Grundbesitzer, Händler und Industrielle zunutze. Beobachter befürchten, die Zwangsumsiedlung könnte das Ende der autochthonen Kultur der Adivasi-Völker in Bastar einläuten. Indiens stellvertretender Innenminister S. P. Jaisal bezifferte die bewaffneten Naxaliten mit 7.000. Sie kontrollieren weite Teile des ostindischen Berglands. Es wird befürchtet, sie könnten eine Allianz mit Nepals Maoisten und einen „roten Korridor“ vom Himalaja bis nach Südindien bilden.

REGINE HAFFSTEDT