Top-Angeklagter muckt auf

CHINA Statt die sonst bei Schauprozessen übliche Reue zu zeigen, greift der angeklagte Bo Xilai die Staatsanwälte und damit Chinas Führung an

„Dieser Mann ist ein korrupter Hund“

DER ANGEKLAGTE BO XILAI ÜBER EINEN IHN BELASTENDEN ZEUGEN

VON FELIX LEE

BERLIN taz | Ein solches Schauspiel hat China selbst beim Prozess gegen die Viererbande vor 33 Jahren nicht erlebt. Damals trauten sich Mao Zedongs Witwe und ihre Gefährten nicht, den Richtern und Zeugen so vehement zu widersprechen wie gestern der Exspitzenpolitiker Bo Xilai beim Auftakt seines Prozesses. Üblich sind in der Volksrepublik Schauprozesse, bei denen die Angeklagten demütig gestehen, was ihnen vorgeworfen wird.

„Alles gelogen“, keift jedoch Bo und fällt dem Hauptzeugen Tang Xiaolin gleich ins Wort. Der Geschäftsmann Tang soll Bo mit Millionen von Renminbi geschmiert haben. Zu den Richtern gewandt wettert Bo: „Dieser Mann ist ein korrupter Hund.“ Seine Aussagen seien „ein hässlicher Auftritt einer Person, die ihre Seele verkauft“. Wie könne diesem Mann nur ein Wort geglaubt werden?

Zum Prozessauftakt am Donnerstag in der ostchinesischen Stadt Jinan zeigt sich der ehemalige Bürgermeister von Dalian, spätere chinesische Handelsminister und mächtige Parteichef der 30-Millionen-Stadt Chongqing unerwartet kämpferisch. Dem 64-Jährigen wird Bestechlichkeit, Unterschlagung und Amtsmissbrauch vorgeworfen. So soll er zwischen 1999 und 2012 umgerechnet insgesamt 2,5 Millionen Euro Bestechungsgeld angenommen haben. Den ersten Anklagepunkt weist Bo gleich nach Verlesung der Klageschrift von sich. Zu den Geständnissen hätten die Behörden ihn beim Verhör gezwungen. „Ich war schwach und habe wider besseres Wissen getan, was von mir verlangt wurde“, sagte Bo. Offensichtlich unvorbereitet auf diesen Widerruf polterte der Staatsanwalt: „Sie lügen doch.“

Der Prozess gegen Bo ist der vorläufige Höhepunkt eines Skandals, der Chinas Führung im vergangenen Jahr in eine schwere Krise gestürzt hat. Ausgelöst wurde er durch Enthüllungen über den Mord von Bos Ehefrau Gu Kailai an dem britischen Geschäftsmann Neil Heywood. Der Brite hatte über viele Jahre hinweg Vermögen der Familie illegal ins Ausland geschleust. Als ihm die Konditionen nicht mehr ausreichten und er damit drohte, an die Öffentlichkeit zu gehen, vergiftete Gu ihn. Ein Gericht verurteilte sie vor einem Jahr zum Tod auf Bewährung. Eine unmittelbare Beteiligung an dem Mord wird ihrem Gatten zwar nicht vorgeworfen. Aber mit den angeführten Anklagepunkten droht auch Bo eine lange Haftstrafe. Beobachter rechnen mit mindestens 15 Jahren.

Die Enthüllung dieses Falls drohte Chinas gesamte Führungsriege zu zerreißen. Denn Bo ist der Sohn eines wichtigen Revolutionsführers und galt als Hoffnungsträger einer einflussreichen Strömung, die eine Rückbesinnung auf Mao fordert und mit „roten Liedern“ und Sozialprogrammen für Arme von sich reden macht. Bis zu seinem Sturz vor einem Jahr saß der charismatische 64-Jährige bereits im 25-köpfigen Politbüro der Partei. Einen Sitz im mächtigsten Führungsgremium, dem Ständigen Ausschuss, schien ihm sicher. Doch hatte er aber auch innerparteiliche Gegner. Vielen war er nicht geheuer. In Chongqing hatte er unter anderem eine „Anti-Mafia-Kampagne“ gestartet, der jedoch auch viele seiner Kritiker zum Opfer fielen.

Seine Anhänger sehen in dem Prozess denn auch ein Komplott. Vor dem Gerichtsgebäude versammelten sich am Donnerstag schon in den frühen Morgenstunden Unterstützer und forderten Bos Freilassung. Ein Demonstrant rief: „Er hat dem Volk gedient!“ Andere hielten Mao-Plakate hoch und nannten Bo einen „Volkshelden“.

Das Wissen um solche Unterstützung dürfte ihn unter anderem angespornt haben gegenüber Richtern und Staatsanwälten aufzumucken. Dabei hat er nur dem ersten Anschein nach nicht mehr viel zu verlieren. Sein 25-jähriger Sohn, der gerade in den USA eine Ausbildung an einer Eliteuniversität genießt, ist bislang strafrechtlich ungeschoren davon gekommen. Das könnte sich bei einem aus Sicht der KP-Führung allzu ungünstigen Prozessverlauf schnell ändern.