neues aus neuseeland: mutterkuchen aus der tiefkühltruhe von ANKE RICHTER
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Als mein Sohn im Land der Langen Weißen Wolke geboren wurde, bekam er im Namen der Queen einen Pass geschenkt, den eine Krone, ein Maori-Krieger und eine fahnenschwingende Dame in einem Eurythmie-Gewand zieren.

Ich dagegen verlor einen Teil von mir: meinen Mutterkuchen. Da er weder schrie noch strampelte, wanderte der rosagraue Klumpen mit meiner Zustimmung in den Sondermüll des Kreißsaals. Ein Sakrileg! Meine einzige Entschuldigung für dieses brutale Vorgehen ist meine teutonische Herkunft, gepaart mit Ignoranz. Hätte ich hiesige Geburtsvorbereitungskurse besucht und das sensible Umfeld gekannt, in das ich den kiwi-deutschen Erdenbürger fünf Wochen nach unserer Ankunft pflanzte, dann hätte ich begriffen, dass der korrekte Umgang mit der Nachgeburt so wichtig ist wie die Pflege des Säuglings. Oder wichtiger.

Wie in vielen Kulturkreisen üblich, so verehrt auch der Polynesier seine Plazenta. Die Baby-Torte muss der Erde zurückgegeben werden – so fordern es die Götter, die Vorfahren und die Hausgeburt-Hebammen. Allerdings nicht durch die Kanalisation.

„Wir haben die whenua (Plazenta) unseres Sohnes im Hinterhof unter einem Pohutukawa-Baum vergraben; er wurde im Vorderzimmer geboren …“, schwärmte Sofia Tekela-Smith, Frau des von allen Galeristen gehätschelten Pazifik-Künstlers John Pule, während sie sich wunderschön anzusehen in ihrer weißen Designerküche in Aucklands Nobelviertel Grey Lynn für ein Sonntagsmagazin fotografieren ließ. Ganz so stilsicher bekommen meine neuseeländischen Schwestern das Prozedere nicht immer hin. Wird der vergötterte Zellhaufen nicht tief genug verbuddelt, kann es passieren, dass noch während der Zeremonie der Nachbarshund angeflitzt kommt und das gute Stück Fleisch vor den Augen der perplexen Familie wieder ausscharrt. In solchen Fällen wäre es sinnvoller, den Rat eines amerikanischen Alternativ-Ratgebers zu befolgen und das nährstoffreiche Organ in trauter Runde zu verspeisen. Rezepte werden mitgeliefert.

Schriftstellerin Rosemary McLeod geriet in einen ethischen Konflikt, als sie das Haus ihrer Freundin kaufte: Am Ende des Gartens lag unter einem Kauri-Baum deren Mutterkuchen vergraben. „Was gebietet hier die Etikette?“, fragte sich McLeod, die selbst mit allen medizinischen Schikanen entbunden hatte. Sie wollte keinen Baum, sondern lieber Rasen. In einem Eimer brachte sie die exhumierte Plazenta zur Freundin. Die hat ihr bis heute nicht verziehen.

Dieser Fauxpas ist marginal angesichts dessen, was einer Frau aus Dunedin wiederfuhr. Die fror wie so viele andere Mütter das blutige Heiligtum ein, da noch keine Zeit oder kein Baum oder kein Hinterhof vorhanden waren. So kam, was kommen musste: Ein hungriger Einbrecher plünderte ihre Tiefkühltruhe und ließ neben Schweinekoteletts, Toastbrot und Frühstücksspeck auch die Uterus-Überreste mitgehen. Die Frau war am Boden zerstört. Sie sandte einen flehenden Appell an den Dieb aus. Ihr sei egal, in welchem Zustand die Plazenta zurückkomme: „Sie kann auch in den Briefkasten gesteckt werden.“