Samen in Lappland bangen um ihre Zukunft

SCHWEDEN Die Regierung in Stockholm gibt der Bergbauindustrie den Vorrang vor den Rechten und traditionellen Lebensweisen der Samen. Diese kämpfen erbittert gegen die Zerstörung ihrer Gesellschaft

„Dann gibt’s eben Krieg, und wir werden ihn gewinnen“

MATTIAS PIRAK, RENTIERZÜCHTER

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

„Wir sollen für immer vom Boden unserer Vorfahren verjagt werden“, beklagt sich der Rentierzüchter Mattias Pirak. „Unsere viele tausend Jahre alte Geschichte, unser Leben in Übereinstimmung mit der Natur, unsere Zukunft verschwinden in Grubenlöchern, vergiftetem Boden und vergiftetem Wasser“, konstatiert Min Geaidnu, die drittgrößte Partei im Samen-Parlament. „Die Minenkonzerne haben freie Hand, und unsere Kultur gilt nichts mehr“, kritisiert der Samen-Politiker Matti Berg.

Ein schwerer Konflikt ist zwischen der schwedischen Regierung und den in Nordschweden lebenden Samen ausgebrochen. Es geht um das Recht der Samen, ihre traditionelle Lebensweise, Kultur und Rentierwirtschaft auszuüben, oder das Bestreben von internationalen Mineralienkonzernen, die reichen Bodenschätze in Lappland auszubeuten. Stockholm hat jüngst entschieden, im „Reichsinteresse“ liege die Bergbauindustrie.

Samenvertreter warfen daraufhin Stockholm vor, den seit Jahrhunderten anhaltenden Kolonisierungsprozess gegen die samische Urbevölkerung nun auf die Spitze zu treiben. Anlass des Protests sind zwei Bergbauprojekte in Lappland. Eines davon ist eine bei Tärnaby geplante Nickelgrube, deren schwermetallhaltige Abwässer das Grundwasser und damit das Trinkwassereservoir von Hunderttausenden Menschen bedrohen könnten. Das andere: die Ausbeutung von Erzreserven in Kallak nahe dem Ort Jokkmokk.

Es würde ein riesiger Tagebau in einem traditionellen Winterweidegebiet der Rentiere entstehen, ein 8 Quadratkilometer großes und 100 Meter tiefes Loch, aus dem 600 Millionen Tonnen Eisenerz gewonnen werden sollen. In einem Gebiet namens „Laponia“, dem die Unesco in den 1960er Jahren den Status „Weltnaturerbe“ wie „Weltkulturerbe“ verliehen hat.

Seit Wochen wird in Kallak – samisch Gállok – gegen dieses Projekt protestiert. Die Polizei wird beschuldigt, unnötig hart vorgegangen zu sein. Am Samstag versammelten sich erneut rund 500 DemonstrantInnen vor Ort. Mehrere Sprecher warfen Stockholm eine unverantwortliche Umweltpolitik sowie Menschenrechtsverstöße vor. Die Bevölkerung ist gespalten. „Viele grüßen sich nicht mehr“, sagt Jenni Laiti, samische Künstlerin aus Jokkmokk. Im Internet wurden Minengegner sogar mit dem Tod bedroht. Was für die einen die Zerstörung der Natur, schwere Umweltgefahren und ein weiteres Kapitel in der Geschichte der Auslöschung der Lebensgrundlagen der samischen Urbevölkerung darstellt, bedeutet für andere Hoffnung auf neue Arbeitsplätze.

„Wir brauchen die Grube“, sagt Jokkmokks sozialdemokratischer Bürgermeister Stefan Andersson. Die Bevölkerungszahl von Jokkmokk hat sich binnen 50 Jahren halbiert. Auf einer Fläche von der Größe des Bundeslands Rheinland-Pfalz leben jetzt noch 5.068 Menschen. Und mit den Arbeitsplätzen begründet auch die schwedische Regierung das angeblich überwiegende „Reichsinteresse“. Ein paar hundert für die nächsten 15 Jahre sollen es in Kallak sein – dann wäre das Vorkommen erschöpft. Und es bliebe nichts zurück als Naturschäden, befürchten die Gegner des Projekts. Laut einer Untersuchung des kanadischen Fraser Institute gilt Schweden Bergbaukonzernen als weltweit attraktivstes Land. Es sei ein „Klondike der globalen Minenwirtschaft“. Nirgendwo sonst werde es den Konzernen so billig gemacht. Während Australien 2012 eine Abgabe von 30 Prozent auf den Wert gewonnener Mineralien erhebt und Kanada bis zu 14, Brasilien 6 Prozent kassiert, beträgt die staatliche Mineralienabgabe in Schweden nur 0,05 Prozent.

Trotz aller Proteste gab Stockholm am Donnerstag grünes Licht für das viel kritisierte Tärnaby-Projekt. Samen-Vertreter kritisieren „den Mangel an Respekt vor dem samischen Volk und international anerkannten Urvölkerrechten“. „Wir geben den Kampf nicht auf“, sagt Jenni Laiti. Und Mattias Pirak bekräftigt: „Dann gibt’s eben Krieg, und wir werden ihn gewinnen.“