Ostermarsch der alten Hasen

TRADITIONSDEMO Beim 50. Jubiläum des Ostermarsches ziehen vor allem erfahrene Friedensaktivisten durch die Innenstadt – die Jugend glänzt durch Abwesenheit

„Wir setzen ein Zeichen für den Frieden, da geht es eher um die Symbolik als um Teilnehmerzahlen“

VON SEBASTIAN KEMPKENS

Das gefühlte Durschnittsalter der Menschen auf dem Potsdamer Platz liegt bei 50 Jahren. Etwa 250 DemonstrantInnen versammeln sich im Nieselregen bei der Auftaktkundgebung des Ostermarsches am Montag, der bundesweit in vielen Städten zum 50. Mal rund um Ostern stattfindet. Nach Polizeiangaben sollen es in Berlin am Ende 800 sein, die für eine Welt ohne Atomwaffen und Krieg demonstrieren. Voriges Jahr waren es noch 1.000. Auch die Veranstalter geben zu, dass die Zahlen seit Jahren rückläufig sind.

Zwischen flatternden Pace-Fahnen und Plakaten mit Friedenstauben steht Roswita Stengel. Eingewickelt in ein Attac-Banner, verteilt die ältere Dame kleine Ostereier aus Schokolade. „Zum Ostermarsch komme ich alle Jahre wieder“, sagt sie. „Die Probleme von damals werden ja nicht weniger. Also gibt es immer noch genug Grund, auf die Straße zu gehen.“ Natürlich sei es schade, dass immer weniger Leute kommen würden. Aber: „Wir setzen ein Zeichen für den Frieden, da geht es eher um die Symbolik als um Teilnehmerzahlen.“

Im Fokus des Berliner Protestes steht in diesem Jahr die Rüstungsindustrie. Bei der Planung des Marsches habe man gemerkt, wie viele Rüstungskonzerne sich mittlerweile in Bundestagsnähe angesiedelt hätten, sagte Mitorganisator Klaus-Dieter Heiser (Linke) im Vorfeld. „Die betreiben da militärisch-politische Landschaftspflege.“

An neun Stationen wie der Niederlassung des Rüstungskonzerns EADS oder dem Büro des Förderkreises Deutsches Heer hält die Demo kurz an. Vor der Niederlassung von Boeing in der Lennéstraße verliest Heiser, welche Militärtechnik Boeing produziert, und schließt mit der Bemerkung: „Der Gewinn von Boeing ist höher als das Bruttosozialprodukt von Kenia.“ Weitere Stationen sind die Niederlassung der Rheinmetall AG in der Voß- und das Finanzministerium in der Wilhelmstraße.

Neben dem traditionellen Protest gegen Atomwaffen finden sich auf der Demo aber auch Plakate gegen Hartz IV, Sozialabbau, Rassismus und Antiislamismus. Und neben Fahnen von Attac und der Linken flattern auch Banner der Naturfreunde im Wind.

Ein holländischer Journalist wundert sich: „Das ist ein sympathischer Idealismus, den die Leute hier haben, eine interessante Gedankenwelt“ – nur an jungen Menschen und Konkretem mangele es. Sarah Walz, Studierende an der Freien Universität, erklärt sich die weitgehende Abwesenheit junger Leute zum Teil mit den Semesterferien. „Vor allem aber merkt man, dass die meisten Studierenden heute desillusionierter sind als die Teilnehmer des Ostermarsches.“

Eine Vorstellung von der Stimmung zu Anfang der Bewegung vor 50 Jahren gibt Victor Grossman bei der Abschlusskundgebung Unter den Linden vor der Bertelsmann-Stiftung. Der amerikanische Vietnamkriegsdeserteur plaudert aus dem Nähkästchen der Anti-Atomwaffen-Bewegung. 1950 habe er die erste Unterschriftenaktion in Amerika gestartet, erzählt er und hält ein Schwarz-Weiß-Foto in die Luft. Schmunzelnd fügt er hinzu: „Mein Gott, wie jung wir damals waren!“