Erholung von der Arroganz der Städter

KUNSTDORF Im kleinen Heideort Garlstorf treffen sich am ersten ordentlichen Septemberwochende Kunstprofis und -laien, Dörfler und Städter zum Kunstfest. Und das bereits zum fünften Mal

Längst hat sich so etwas wie eine Fan- gemeinde gebildet. Wer einmal da war, kommt wieder

VON FRANK KEIL

Einen Anzug trägt Oliver von Below normalerweise nicht. Aber wenn am kommenden Freitagabend zum fünften Mal das Garlstorfer Kunstfest eröffnet wird, schlüpft er als dessen künstlerischer Leiter schon mal in einen. Schließlich kommen auch der Garlstorfer Bürgermeister und der Bürgermeister der übergeordneten Gemeinde Salzhausen. Der Leiter der örtlichen Sparkasse wird ebenso anwesend sein wie die Herren von der Feuerwehr und die Damen vom Kirchenchor. „Der Abend ist dann noch etwas gediegen“, sagt von Below: „Im letzten Jahr gab es Jazz, in diesem Jahr gibt es Klassik.“

Am nächsten Tag aber geht es rund und die Garlstorfer und ihre Gäste verteilen sich auf die 16 Spielstätten von der Dorfhalle über den Mühlengarten bis zu Niemeyers Heidehof, prall gefüllt mit Auftritten, Ausstellungen und Kaffeetafeln.

Alles begann, als von Belows Nachbarin regelrecht beglückt vom Besuch der kulturellen Landpartie aus dem Wendland zurückkam: So etwas müsse man auch in Garlstorf auf die Beine stellen! Eine Anti-AKW-Szene gibt es in der Garlstorfer Heide zwar nicht, aber auch hier hat sich mancher stadtmüde Städter zurückgezogen. Wie von Below, der in Hamburg Kunst studierte und heute vom Übersetzen lebt. Und zwar in der ehemaligen Försterei, zu der ein wunderbares, geräumiges Haus gehört, das er mit Frau und Kindern bewohnt, samt schlafender Katze auf dem Sofa. So wie es eben sein soll. „Ich habe zu meiner Nachbarin gesagt: ‚Na, dann machen wir das.‘ Und dann haben wir das gemacht.“

Mit dabei ist seit Längerem auch Hans-Hermann Putensen. Der wiederum kommt aus der Verwaltung: „Ich war hier Bürgermeister und fand einfach klasse, was plötzlich im dörflichen Ambiente geschah.“ Das wiederum hat ganz praktische Vorteile: „Wenn ich zur Sparkasse gehe und sage: ‚Na, Hannes, gebt ihr was?‘, dann geben die was“, sagt Putensen. Und außerdem: „Meine Frau malt auch ein bisschen.“ Was will man mehr?

Dabei ist der Erfolg des Kunstfestes auch ein Resultat des Strukturwandels in Orten wie Garlstorf: „Wenn drüben Schützenfest ist, dann stehen da heute zehn traurige Schützen, alles alte Männer in Uniformen“, sagt von Below, und der einstige Bürgermeister nickt dazu leicht betrübt. Die traditionellen Vereine hätten sich eben nicht immer so den Veränderungen gestellt, wie es nötig wäre. Aber was soll man machen? So ist es eben.

Und die beiden erzählen lieber von ihrem Kunstfest. Viel Fotografie, viel Malerei ist dort zu sehen. Diesmal unter anderem von der Werner-Büttner-Schülerin Nele Budelmann, die schon drüben auf der anderen Heideseite im Kunsthaus Jesteburg ausgestellt hat. Gagen werden dabei so gut wie nie bezahlt – dafür kostet auch keine Veranstaltung Eintritt. Die Rock- und Popmusiker übernachten meist bei von Below im Haus.

Lange hätten sie überlegt: Wie mit dem Kunstgewerblichen umgehen? Nur richtige Kunst ausstellen? Und was wäre das dann? Ach, Quatsch: Auch das Kunsthandwerk hat seine Berechtigung! Die Leute wollen das auch sehen. Das ist ja gerade das Schöne bei der Kunst auf dem Dorfe: Man kann sich mal von der Arroganz der Städter erholen und einfach machen, wonach einem der Sinn steht.

Längst hat sich so etwas wie eine Garlstorfer Fangemeinde gebildet. Wer einmal da war, der kommt gerne wieder. Der Filmemacher Peter Sempel etwa, der einst gemeinsam mit dem Bürgermeister von Salzhausen das Abitur gemacht hat. Auch Gitarrist Pascal Fuhlbrügge, der mit der Kolossalen Jugend einst die Hamburger Schule mitbegründete und ursprünglich der Metropole Uetersen entstammt, ist wieder dabei. Längst hat er sich anderen Sphären zugewandt: Sein aktuelles Projekt „Die Auflösung“ bietet Ambient-Musik. Die Bühne auf von Belows Hof aber verschmäht Fuhlbrügge. Lieber möchte er im Gemüsebeet auftreten. Solche Wünsche wundern hier in Garlstorf niemanden.

■ Kunstfest Garlstorf: Fr, 6. bis So, 8. September; Infos zum Programm unter: www.garlstorfer-kunstfest.de Achtung: Die Autobahnabfahrt Garlstorf ist in Richtung Hannover derzeit gesperrt. Stattdessen Abfahrt Thieshope nehmen und der Umleitung U8 über die Dörfer folgen. Ist eine schöne Fahrt.