Die Grabentänzer

Zeitgeist „Bild“-Vizechef Nikolaus Blome soll zum „Spiegel“ wechseln. Dort sorgt die Personalie in der Redaktion für Unmut

Blome ist gesprungen und steht nun in der Luft, sein Cordjackett flattert

VON FELIX DACHSEL

Es ist nicht nur die Geschichte eines Mannes, der zum 1. Dezember von der Bild zum Spiegel wechseln will – und dabei stolpern könnte. Die Geschichte beginnt früher, es ist die Geschichte dreier unauffälliger Herren. Würde man sie beim Speeddating treffen, wäre die Gefahr groß, dass man sich diese Attribute notiert: eloquent, feinsinnig, humorvoll, fein ironisch. Ideologie lehnen sie ab.

Und tatsächlich treten sie so anders auf als ihre Vorvorgänger, die Günter Wallraff 1970 in „Der Aufmacher. Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“ als saufend, fluchend, waffenliebend beschreibt. Deren Geruch unweigerlich verriet, in welchen Stall sie gehörten.

Die drei Herren könnten Deutschland erklären, wie es 2013 ist – ohne ein Wort über Deutschland zu verlieren. Sie müssen nur von ihrem beruflichen Leben berichten.

Ihre Wege kreuzen sich. Sie haben mehrmals die Seiten gewechselt, Gräben übersprungen, nicht immer geräuschlos, aber doch erstaunlich leise.

Die drei Männer heißen Béla Anda, Rolf Kleine und Nikolaus Blome. Sie alle arbeiten oder arbeiteten bei der Bild-Zeitung. Ihr Projekt ist und war es in den letzten Jahren, eine ernsthafte Politikberichterstattung zu etablieren. Für das Boulevardblatt ein Schlüsselprojekt, für die drei Herren die Chance, sich zu profilieren. Und für nachdenkliche Kollegen Anlass zu fragen: Wo stehe ich? Wo stehen die? Was trennt uns?

Béla Anda war in den 90ern bei der Bild, 2012 ist er zurückgekehrt – als stellvertretender Chefredakteur. Zwischendurch war er Sprecher der rot-grünen Bundesregierung und Kommunikationsdirektor beim Finanzdienstleister AWD. Rolf Kleine arbeitete, mit Unterbrechung, knapp 18 Jahre bei der Bild, er war Leiter des Hauptstadtbüros und Chefreporter, dann ging er im vergangenen Jahr zu einem Immobilienkonzern, den viele als Heuschrecke bezeichnen. Im Juni wurde er Sprecher von SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Und Blome sehen wir gerade dabei zu, wie er zum Sprung über einen Graben ansetzt, in den er zu fallen droht.

Blome ist seit sieben Jahren Leiter des Bild-Hauptstadtbüros und so etwas wie der smarte Botschafter des Blatts. Er ist jener Cordjackett tragende Erkläronkel, der in den Wochen der Wulff-Affäre im Fernsehen sein Talent präsentierte, so aufzutreten, als sei er gar nicht von der Bild, sondern vielleicht vom Spiegel oder von der Zeit. Was natürlich auch etwas über das Talent von Spiegel und Zeit aussagt, so aufzutreten, als seien sie wie Blome. Der Tanzschritt der Postideologen: Jeder geht auf jeden zu.

Einen großen Schritt tat Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, als er in seinem Blatt versuchte, den Bild-Liebling, Karl-Theodor zu Guttenberg, zu rehabilitieren. Einen weit größeren Schritt tat die Jury des Henri-Nannen-Preises, als sie 2012 zwei Bild-Redakteure für ihre Berichterstattung über Wulff auszeichnete.

Nun soll Blome zu dem werden, für das ihn schon viele fälschlicherweise hielten: ein seriöser Politikjournalist. Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros, Mitglied der Chefredaktion. Berufen wurde er vom neuen Spiegel-Chef Wolfgang Büchner, zu dem der Journalist Christian Bommarius zu Recht anmerkt, dass von ihm kein Artikel bekannt sei, in dem er irgendeine politische Haltung erkennen ließe. Und das ist es, woran man einen Journalisten messen sollte: an dem, was er veröffentlicht.

Büchner leitete Spiegel Online und die Nachrichtenagentur dpa. Büchners Sache ist die Geschwindigkeit – nicht die Position. Was ihn zum Mann der Stunde macht: Der Tanz der Postideologen ist schnell. So schnell, dass kein Beobachter mehr registrieren kann, wo die Tänzer stehen und wo sie zuvor gestanden haben.

Vielleicht hat Blome tatsächlich gehofft, dass er in diesem Gewimmel untergeht. Dass sein Wechsel abläuft wie der von Béla Anda, dem es gelungen ist, erst jahrelang für ein Blatt zu arbeiten, das Angst, Ressentiments und Chauvinismus reproduziert – um dann Sprecher jener Regierung zu werden, die für einen Aufbruch stehen wollte, für Toleranz, Weltoffenheit, Solidarität. Für ein bundesrepublikanisches Projekt – verteidigt gegen Wasserwerfer und Schlagstöcke, verteidigt auch gegen die Bild und ihre Klientel.

Oder Blome hoffte, dass es wie bei Kleine werden könnte: Ein Wechsel mit Störgeräuschen zwar, aber doch irgendwie gelungen. Kleine hat das Kunststück vollbracht, als Bild-Redakteur zu kommentieren, dass uns für Griechenland „jeder Euro zu schade“ sein sollte und vertritt jetzt Peer Steinbrück, der Geduld mit Griechenland einfordert – auch gegen den vom Boulevard angeheizten Mob.

Es ist ein atemberaubender Moment: das Geschehen verlangsamt sich, Zeitlupe, Hold. Nikolaus Blome ist gesprungen und steht nun in der Luft, sein Cordjackett flattert.

Wir sehen vielleicht das spektakuläre Scheitern einer postideologischen Akrobatik. Aber nicht ein Scheitern sollte uns Angst bereiten. Sondern, dass die Akrobatik noch irgendwie gelingt. Und gar jemand klatscht.