„Es gelingt nicht, Landesthemen zu setzen“

Baden-Württembergs Grünen-MdL Boris Palmer über die geringe Wahlbeteiligung und den Erfolg der Grünen

taz: Herr Palmer, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger will Koalitionssondierungen mit den Grünen führen. Ist das mehr als eine demokratische Floskel?

Boris Palmer: Der Ball liegt bei Oettinger. Ich denke, er macht ein taktisches Spiel und versucht, der FDP die Grenzen aufzuzeigen. Wenn er mit uns reden will, muss zum Beispiel klar sein, dass der Atomausstieg gilt und die unchristliche Abschiebepolitik aufhört.

Warum wurden die Grünen so oft gewählt, wenn am Ende doch alles weitergeht wie zuvor?

Ob Opposition oder Regierung: Wer in Baden-Württemberg Veränderung will, wer die Modernisierungsblockaden aufbrechen will, der wählt Grün. Mit der FDP verändert sich nichts, und die SPD ist inhaltlich und personell zu schwach, um einen fundamentalen Regierungswechsel möglich zu machen.

Den will ja auch kaum einer in Ihrem Land.

Aber es gibt genügend relevante Fragen in Gesellschaftspolitik, Integrationspolitik, Schul- und Hochschulpolitik und natürlich Ökologie, in denen eine signifikante Minderheit Veränderungen will. Ich nenne sie: das moderne linksliberale Bürgertum. Deren Stimme wollen wir sein, um diese Anliegen voranzubringen.

Was machen die Grünen in Baden-Württemberg besser als in anderen Bundesländern?

Wir haben auf anderen Bedingungen aufgebaut und konnte deshalb eine andere Strategie benutzen. Die Grünen sind hier seit je nicht der Bürgerschreck, sondern selbst Teil des progressiven Bürgertums. Wir haben mit einer ökologischen Wirtschaftspolitik, die auch den Mittelstand anspricht, Wähler gewonnen, die in Rheinland-Pfalz nicht zu erreichen sind. Dort hat man eher auf eine ökologisch bessere Variante von WASG oder SPD gesetzt, und das scheint nicht zum gleichen Erfolg zu führen.

Ihr Fraktionschef Winfried Kretschmann will die Grünen als führende „Mittelstandspartei“ positionieren.

Den Begriff finde ich nicht glücklich gewählt, aber was gemeint ist, stimmt. Das Wahlergebnis zeigt, dass wir es immer besser schaffen, Menschen anzusprechen, denen es selbst gut geht, die aber soziales Gewissen haben und am ökologischen Fortschritt interessiert sind. Deshalb sind wir stärker als die FDP, die eher die wirtschaftskonservativen Teile des Bürgertums anspricht.

Baden-Württembergs Metropolen sind auch Grünen-Metropolen. Sie selbst haben im Stadtbereich Ihres Tübinger Wahlkreises mit 32 Prozent sogar eine relative Mehrheit gewonnen. Aber was haben Ihre Wähler davon?

Diese Leute wissen, dass ihre inhaltlichen Anliegen durch die Grünen eine Bedeutung bekommen. Wenn die Grünen in vielen Städten die relative Mehrheit stellen oder auf dem zweiten Platz sind, dann können die anderen Parteien nicht mehr so leicht Politik gegen die Ökologie machen. Ich hoffe, dass sich etwa die Streichungen im Nahverkehr noch aufhalten lassen.

Offenbar ziehen auch einzelne Kandidaten. Oswald Metzger ist manchen in der Partei ein Graus, hat aber die Stimmen in seinem Wahlkreis verdoppelt.

Ja, der Persönlichkeitsfaktor ist offenbar wichtiger als früher. Die Wahl von Metzger und anderen zeigt, dass man mit Kandidaten, die man kennt und denen man etwas zutraut, Stimmen ziehen kann. Das hat in Rheinland-Pfalz völlig gefehlt.

Die Wahl wurde nicht überschattet von der Bundespolitik – und die Beteiligung war gering. Woran liegt das?

Die Parteien haben völlig verlernt, landespolitische Wahlkämpfe zu inszenieren. Es ist ein Armutszeugnis, dass es nicht gelungen ist, trotz wichtiger anstehender Aufgaben Landesthemen zu setzen. Man muss den Leuten Gründe geben, zu wählen. Das muss unbedingt besser werden, sonst kann man die Landespolitik eines Tages wirklich abschaffen – und den Föderalismus gleich mit.

INTERVIEW: PETER UNFRIED