Kanzlerbier und braune Suppe vor dem Gartentor

SPD Peer Steinbrück macht in Berlin-Neukölln Kuschelwahlkampf. Nur ein paar NPDler stören

BERLIN taz | Zum Feierabend noch ein Bier. Ganz zum Volke gewandt und zur Not auch aus einem Plastikbecher. „Eigentlich“, sagt Peer Steinbrück, „wollte ich bis zur Wahl keinen Alkohol mehr trinken.“ Den zweiten Becher stellt er deshalb vor sich auf den Stehtisch und sagt: „Bitte schön, für euch.“ Ein Mann greift zu. Kanzlerbier. Vielleicht.

Fritz Felgentreu, der Direktkandidat der SPD im Berliner Bezirk Neukölln hat den Peer, wie sie ihn an diesem Abend nennen, in den Ortsteil Rudow eingeladen. Nun ist er wirklich gekommen – in den Garten des Ortsvereines. Es gibt Bratwurst und Bier, bunte Lichtschlangen und Jazzmusik. Die Großstadt ist an diesem Abend ganz weit weg.

Berlin Neukölln, das ist Sonnenallee, das ist Epizentrum: Dreck, Lärm, Armut. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Mietpreise werden es gerade. Studenten feiern in hippen Bars und Obdachlose betteln auf der Straße. Es hätte genug Zündstoff gegeben für eine spannende Diskussion mit dem Kanzlerkandidaten.

Doch Neukölln, das sind eben auch die Ortsteile Britz und Rudow, sozialer Wohnungsbau und Einfamilienhäuschen. Das ist wichtiges Terrain für die SPD. Rudow, das ist weniger Multikulti, weniger Wasserpfeifen-Schwaden durch Pflastersteinstraßen. Rudow, das ist ländlicher, kleinstädtischer. Auch die NPD ist hier auf Wählerfang.

Und so trötet während der Rede von Steinbrück ein Häufchen NPD-Anhänger vor dem Eingang zum Wahlkampf-Garten stumpfsinnige Parolen. Steinbrück kontert lässig: Ein voller Garten mit etwa 400 Zuhörern sei wohl die beste Antwort auf die braune Suppe vor der Tür.

Im Süden von Neukölln versucht die NPD immer wieder Fuß zu fassen: Es gibt weniger Einwohner mit migrantischen Wurzeln – und damit ein ideales Umfeld, um Stimmung gegen eben diese zu machen. Mehrere Parteifunktionäre der rechtsextremen Partei wohnen in Rudow.

Während den Nazis langsam die Puste ausgeht, erzählt Steinbrück seinen Genossen von der Rente, von der Pflege, von Syrien. Das Publikum lauscht, klatscht, lacht. Keine Zwischenrufe, alle ganz brav, alles soweit bekannt.

Steinbrück ist bemüht um Bürgernähe, er redet nach seiner Bühnenshow fast genauso lange am Stehtisch mit SPD-Anhängern. Doch trotz Ortsverein-Atmosphäre, die vor-Ort-Themen müssen draußen bleiben. An diesem Abend stehen die großen Fragen im Mittelpunkt. Steinbrück antwortet gewohnt rasant und schreibt nebenbei noch Autogramme. Als es zu nieseln beginnt, wird sofort ein Regenschirm gereicht. Einen SPD-Kanzlerkandidaten lässt man nicht im Regen stehen. Nicht in Rudow. Und schon gar nicht beim Feierabendbier. FELIX HÜTTEN