Machen soziale Netzwerke unsozial?
Ja

INTERNET Facebook, StudiVZ und Xing gehören zum Alltag: chatten, kommentieren, profilieren. Unbestritten ist: Sie verändern das Sozialverhalten – besonders von Jugendlichen

Katrin Göring-Eckardt, 43, grüne Bundestagsvizepräsidentin und Präses der Synode der EKD

Wer ein reges Sozialleben an der Anzahl der Kontakte misst, dürfte Facebook, StudiVZ und Co. alles andere als unsozial finden. Natürlich hat diese „niedrigschwellige“ Netzwerkerei auch Vorteile: Man kann alte Schulfreunde aufspüren oder ohne großen Aufwand auf dem Laufenden darüber bleiben, was der Sohn während seines Praktikums im Ausland erlebt. Andererseits dürfte klar sein, dass ein paar hundert digitale Kontakte keine Freundschaften sein können – schon allein, dass man sich nicht in die Augen sehen, riechen, fühlen kann, ist ein Problem. Und dass man immer nur den Teil zu lesen bekommt, der für die allgemeine Öffentlichkeit bestimmt ist, usw. So gesehen hat es schon etwas Beliebiges, wenn die Kontakte, die einem bei Facebook buchstäblich „ins Netz“ gehen, „Freunde“ genannt werden. Echte Freunde brauchen dauerhaft Zuneigung und Pflege, und es kann schon sein, dass genau das vor lauter Kontaktesammeln vergessen und verlernt wird. Dann wären die sozialen Netzwerke langfristig doch unsoziale Netzwerke. Übrigens: Es kann auch passieren, dass man dort reale Freunde verliert. Ein Bekannter erzählte mir Folgendes: Nach einer Essenseinladung an einige Freunde habe sich einer der Gäste auf seiner digitalen Pinnwand für den schönen Abend bedankt. Kurz nachdem die Meldung online ging, meldete sich ein anderer Freund beleidigt per Telefon: „Warum war ich nicht eingeladen?“ Da war nichts mehr gutzumachen. Vorsicht im Netz ist also geboten.

Ulrich Reinhardt, 39, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Stiftung für Zukunftsfragen

Virtuelle Kontakte können keine realen Beziehungen ersetzen, da sie oberflächlich und willkürlich bleiben – das meint eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger (2010: 58 Prozent). So das Ergebnis unserer Studie zum Thema Medienentwicklung. Statt der versprochenen Möglichkeiten befürchten die Mehrzahl der Deutschen vermehrt eine zunehmende Vereinsamung durch die sozialen Netzwerke. Ich selbst habe einige soziale Netzwerke ausprobiert – natürlich rein beruflich. Ich hatte in kürzester Zeit Kontakt mit Bekannten, die ich jahrelang nicht gesehen hatte – aber gab es hierfür nicht eigentlich gute Gründe? Meine „Freundezahl“ wuchs und ich war überall dabei – virtuell, versteht sich. Nun werden die Anfragen seltener und erste Kollegen fragen, ob ich etwa immer noch in diesen zeitraubenden Netzwerken aktiv bin. Ist der Höhepunkt der virtuellen Netzwerke tatsächlich schon überschritten? Ich werde dies gleich auf meinem Profil zur Diskussion stellen und während die Antworten eintreffen, mich mutig in die Realität hinauswagen und mit Freunden ein Bier trinken gehen.

Tobias H. Strömer, 49, ist Rechtsanwalt und gilt als Spezialist für Internetrecht und Cybermobbing

Soziale Netze sind die Plattform schlechthin für verbale Prügeleien im Internet. Es ist ja auch so herrlich einfach, dem Mitschüler, dem Kollegen oder dem Nachbarn digital eins auszuwischen. Auch ein Vermummungsverbot gibt es in der schönen neuen Welt des Web 2.0 nicht. Darum können Gemeinheiten über Mitmenschen auch anonym verbreitet werden. Das schlechte Gewissen gebietet oft erst dann Einhalt, wenn die Boshaftigkeit längst im Netz verbreitet und damit perpetuiert ist. Manchmal werden Schläge auch einfach gleich im Namen des Opfers ausgeteilt. Eine fremde Identität ist schließlich schnell übergestreift. Für den Juristen ist die Sache einfach: Natürlich sind Verleumdungen ebenso verboten wie der Identitätsklau. Nur ist es meist schwer, die Täter zu ermitteln, vor allem dann, wenn sie sich geschickt anstellen. Nicht nur beim Umgang mit den eigenen Daten ist daher Vorsicht geboten. Auch Äußerungen über Mitmenschen auf digitalen schwarzen Brettern sollten gut überlegt sein. Das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof, und soziale Netze sind kein Kinderspielplatz.

Nein

Ilse Aigner, 45, CSU-Bundestagsabgeordnete, ist Bundesministerin für Verbraucherschutz

Ich bleibe dabei: Soziale Netzwerke und das Internet bereichern unser Leben, auch meines. Das Netz ist eine ideale Plattform für Kontakte und Debatten, Ideen und Innovationen. Online-Netzwerke bringen Menschen zusammen, unabhängig von Aufenthaltsort und Nationalität. Es ist faszinierend, mit einem Mausklick über Ländergrenzen hinweg zu korrespondieren und gleichzeitig Neues zu erfahren aus dem Nachbardorf. Gemeinsam, verbunden – so paradox es klingt: Ausgerechnet das Internet gibt dem Sozial-Begriff heute eine neue Bedeutung. Wir können von Online-Netzwerken profitieren, wenn wir sie richtig nutzen – als virtuelle Ergänzung unseres realen Alltags und immer mit der gebotenen Zurückhaltung, was die Preisgabe privater Daten betrifft. Dear Mr. Zuckerberg and friends: Auch die Plattformen selbst sind in der Pflicht, Disziplin zu üben. Klar, ein Netzwerk ist noch keine Wohltätigkeitsveranstaltung, nur weil es sich „sozial“ nennt. Viele Communitys sind Goldgruben. Leider hat das Streben nach Größe und Profit manche IT-Manager vergessen lassen, dass Netzwerke auf einem fairen Miteinander gründen.

Jörg Jelden, 32, ist selbstständiger Unternehmensberater und hat seinen Beitrag bei taz.de online gestellt

Soziale Netzwerke machen den stressigen und durchtechnisierten Alltag wieder menschlich und sozialer. Heute verlieren wir keine Kontakte oder Adressen mehr. Wir tauschen uns häufiger mit einem viel größeren Kreis von Freunden und Bekannten aus. Das soziale Feedback ist immer nur einen „i like“-Klick oder Kommentar entfernt. Dabei ersetzen soziale Netzwerke keine direkten Kontakte, sondern ergänzen sie. Und: Gerade an Wochenenden treffen wir uns bevorzugt in der realen Welt. Nutzungszahlen belegen die geringere Nutzung sozialer Netzwerke an Wochenenden.

Sascha Lobo, 34, ist Blogger, Autor, Journalist undWerbetexter und gilt als Web-2.0-Pionier

Das Bild des blassen, vereinsamten Nerds vor dem Bildschirm ist spätestens seit der Erfindung der sozialen Netzwerke ein Vorurteil. Und gegen diese diffuse Asozialitätsvermutung hilft am besten: Empirie. Patti Valkenburg von der Universität Amsterdam hat verschiedene Studien ausgewertet und ist zum exakt gegenteiligen Schluss gekommen: Das Internet bessert das Sozialverhalten von Jugendlichen, und zwar genau durch Social Networks. Alles andere wäre auch überraschend, wo nach einer BiTKOM-Untersuchung aus dem März 2010 über 30 Millionen Deutsche über 14 Jahren Mitglieder in Communities sind. In nicht wenigen Schulklassen sind hundert Prozent der Schüler in Social Networks aktiv. Diese Fakten sprechen dafür, dass wir am Anfang einer digitalen Gesellschaft stehen, bei der sich im Internet die sozialen Strukturen der Menschen abbilden. Alles, was im Netz unsozial erscheint – ist nichts anderes als ein Spiegelbild der Kohlenstoffwelt.

Mitja Back, 33, ist Juniorprofessor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Mainz

Man muss schon sehr pessimistisch sein, um zu glauben, dass Nutzern sozialer Netzwerke die soziale Ader abhandenkommt. Studien zeigen, dass die Plattformen keinen negativen Effekt auf soziale Interessen und Fähigkeiten der Nutzer haben. User-Profile werden kaum zur Selbstinszenierung und -idealisierung, sondern zum Ausdruck der echten Persönlichkeit genutzt. Soziale Netzwerke sind also ein Kommunikationsmedium, das eng mit dem „Offlineleben“ verbunden ist, das für reale soziale Interaktionen genutzt wird und in dem sich mehr und weniger soziale Menschen tummeln.