Was es bedeutet, sein Leben zu akzeptieren

ILB 3 Kulturen des Alterns: Die Autorin Priya Basil berichtete auf dem Literaturfestival bewegend vom Tod ihres Großvaters

Auch alte Menschen kennen Schimpfwörter. Der Großvater von Priya Basil verwendete das Wort bollocks, das kann von Schwachsinn bis Scheiße so ziemlich alles bedeuten. Im Rahmen des Literaturfestivals Berlin las die Schriftstellerin am Donnerstag im Haus der Berliner Festspiele aus ihrem Essay zum Thema Kulturen des Alterns. Basil ist erst Mitte 30, als Schriftstellerin ist sie es indes gewohnt, sich in andere Kulturen, Geschlechter und Alterszonen hineinzuversetzen. Neben ihrem Werk qualifiziert auch ihr Spitzname die Autorin für das Gespräch: Ihre Familie nennt sie Bebe, das bedeutet auf Punjabi „ältere, allwissende Frau“.

Als Enkelin begleitete Basil ihren Großvater emotional, als Autorin beobachtete und reflektierte sie seinen Sterbeprozess. Sie ist als Nachfahre indischer Einwanderer in London geboren, westlich sozialisiert und Atheistin, ihr Großvater war ein gläubiger Sikh, er wusste genau, welche Rituale er sich für die Beerdigung wünschte. Sogar den Turban, den Nachttisch und die rote Krawatte hat er ausgesucht.

In ihrem Essay zeigt Basil, wie absurd Zahlen sind, wenn es um Leben und Tod geht: „Im Alter von 30 erreicht das Herz seine Höchstleistungsgrenze – wie kommt es dann, dass ich jetzt so tief fühle wie noch nie?“ Überhaupt können Gefühle das Alter aufheben, schließlich bleibe die Zuneigung für einen Menschen die gleiche, unabhängig von dessen Aussehen. Sie schreibt unkitschig, ernst. Es ist das Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit, die das Alter kennzeichne.

Einmal hatte der Großvater das Thema Sterbehilfe angesprochen, er hielt es für eine brillante Idee. Schließlich gab es schon immer Gesellschaften, die rituellen Senizid begingen, in Tamil Nadu verabreicht man den ältesten Mitgliedern zum Beispiel tödliches Kokoswasser. Doch Priya Basil hat gesehen, wie würdig ein Tod sein kann, und lehnt es ab, die Personen in diesem Prozess zur Eile zu zwingen.

Akzeptanz ist das Stichwort. Sie habe gelernt, den Tod zu akzeptieren, während der Sterbende im Rückblick sein Leben akzeptiert habe. Er war sich seiner selbst bewusst und damit einverstanden. Es sind Weisheiten, die der Großvater nie in Worte fasste – das übernimmt die Autorin: Nicht immer muss ein Mensch aktiv geben, damit seine Umgebung etwas Wesentliches wahr- und aufnehmen kann. Der Sterbende fordert die ihn umgebenden Menschen dazu auf, aus ihren eigenen Ressourcen an Liebe, Geduld und Großzügigkeit zu schöpfen, so wachsen sie über ihre Grenzen hinaus.

Den schwierigen Alltag verschweigt Basil nicht. Der Großvater litt unter seiner Abhängigkeit. Und die Autorin kritisiert, dass es immer Frauen seien, die sich um die Pflegebedürftigen kümmern. Als man sie nach dem Ideal des Alterns fragt, antwortet sie mit einem Ideal des Lebens und mit Aristoteles: Glück bestehe nicht aus Momenten, sondern aus Empfindungen. Und die können bleiben, wenn der Sterbende sie teilt. CATARINA VON WEDEMEYER