„Beinahe kritisch“

Regisseur und Moderator Gero von Boehm nähert sich mit seinem Doku-Drama „Karol Wojtyła“ (21.00 Uhr, ZDF) der Person Johannes Paul II. Ein Gespräch über Papstbilder und Papstgeheimnisse

INTERVIEW TOBIAS MOORSTEDT

taz: Herr von Boehm, Sie begegnen in ihrer Gesprächssendung ja häufiger bekannten Menschen. Haben Sie Papst Johannes Paul II. auch einmal getroffen?

Gero von Boehm: Ich habe ihm nie die Hand geschüttelt. Aber ich war bei mehreren Audienzen dabei und auch ganz in seiner Nähe bei der letzten Kreuzweg-Prozession, an der er teilnahm, im Kolosseum 2004. Ich habe damals für einen anderen Film mit einer kleinen Kamera gedreht und war sehr überrascht. Die Bilder, die man von Johannes Paul II. kennt, sind ja meist sehr total, man sieht ihn in seinem Fahrgestell hängen und denkt: Der kriegt nichts mehr mit. Aber ich habe während der Messe seine Augen beobachtet. Er las mit. Er war voll da.

Ihr Film endet mit der Beerdigung. Ein Morgen dämmert über Rom. Ein paar Vögel fliegen auf, und bald wird ein Zedernholzsarg auf immer in den Dom getragen. Inwieweit schöpft auch Ihr Film aus der emotionalen Energie, die diese Tage im April 2005 umflort?

Nun gut. Das Ende des Films ist vielleicht ein wenig sentimental. Aber es ist ja auch ein Film für das breite ZDF-Publikum, keine historisch-politische Analyse. Ich will nicht den Mythos „JP II.“ pflegen, der ist mir egal, sondern den Menschen kennen lernen. „What made him tick?“ Wie war er geprägt? Ich nenne ihn ja immer den Papst, der aus dem Leben kam: Er kannte die Welt der Arbeiter, er wusste was über Frauen, und er konnte Fußball spielen. Das kann man von dem jetzigen Papst ja nicht unbedingt behaupten.

Der mediale Erinnerungskult um den Papst läuft pünktlich zum ersten Todestag am 2. April auf Hochtouren. Ihr Doku-Drama steht unter anderem in Konkurrenz zum ARD-Film „Fürchtet euch nicht!“ und der aufwändigen und schwülstigen Mediaset-Produktion „Karol“, die vor kurzem auf RTL2 lief.

Ich hoffe schon, dass wir mit unserem sachlichen und beinahe kritischen Film neben all den Märtyrer-Epen auch unsere Daseinsberechtigung haben. Die anderen Filme zeigen Woytiłas Leben von der Wiege bis zur Bahre. Vom Schauspieler Karol bis zum Greis, der sich nicht mehr rühren kann und endlich stirbt. Ich mag keine Filme mit Vollständigkeitsanspruch. Man weiß doch meistens, was als Nächstes passiert.

Auch in Ihrem Film gibt es ehrfürchtige Close-ups auf gefaltete Hände und Kruzifix-Amulette. Und wenn Michael Mendl mit himmelwärts gerichteten Pupillen sagt: „Gott wird es richten“, dann wirkt er fast wie ein weiterer Sat.1-Fernsehpfarrer.

In unseren Dialogen werden Sie nichts finden, was Johannes Paul II. so nie gesagt hat. Wir haben sehr gewissenhaft recherchiert. Und wenn er rüberkommt wie ein Fernsehpfarrer, dann war er vielleicht auch ein Fernsehpfarrer. War er doch sogar sicher. Der Medienpapst. Aber wir zeigen ihn auch als harten Dogmatiker in den Fragen der Abtreibung und der Verhütung. Wie er auf Zweifel aus dem Volk mit Kälte und einem relativ beliebigen Bibelzitat reagiert. Jeder denkende Zuschauer wird das nicht als ausreichende Antwort empfinden.

Ihr Hauptdarsteller Michael Mendl sagt einmal über eine andere Rolle in einem Doku-Drama, man müsse den historischen Figuren „die Brust öffnen“. Haben Sie das auch gemacht, eine telemediale Obduktion?

Das klingt doch ein wenig brutal. Ich will Herz und Seele eines Menschen öffnen. Und ich glaube, das funktioniert am besten, wenn man diese Person in ihren größten Bewährungsproben zeigt. Davon gab es meiner Ansicht nach zwei im Leben des Papstes. Die Zeit im Warschauer Untergrund während der deutschen Besatzung – als er sehr mutig war und Flüchtlingen und Kämpfern Wohnraum zur Verfügung gestellt hat. Die zweite Prüfung kam, als er Papst wurde und unmittelbar danach in Polen die Solidarność aufkam und ihm eine historische Chance bot, den Kommunismus zu attackieren. Eine historische Chance, die er auch ergriffen hat. Das ist doch eine Story. Wer weiß schon, dass sich der Papst mindestens einmal im Monat mit dem CIA getroffen hat?

Erst vor wenigen Wochen kam die Nachricht, dass der italienische Ausschuss, der das Papst-Attentat untersucht, der Meinung ist, Breschnew habe den Mordauftrag gegeben. In Ihrem Film wird das so nicht gezeigt, aber man sieht KGB-Spitze und Sowjet-Generäle in einem düsteren Raum zusammensitzen und sagen: Fürchte dich nicht. Dann lachen sie diabolisch.

Wir werden nie wissen, was damals genau passiert ist. Die jüngsten Informationen liefern nur einen weiteren Mosaikstein. Das Problem ist doch: Die wirklich wichtigen Sachen werden nicht aufgeschrieben. Und auch unser Film ist nur eine Annäherung. Man darf nicht vergessen, dass es ein Film für das breite Publikum ist. Aber es gibt ja Berichte von KGB-Überläufern, die die Atmosphäre im Hauptquartier beschrieben haben. Man muss sich also bei der Inszenierung schon auf verfügbare Fakten stützen.

In den letzen Lebensmonaten von Papst Johannes Paul II. war die Grenze zwischen Mensch und Heiligem bereits reichlich verschwommen. Wird sich sein Bild verändern, jetzt, wo alle daran arbeiten?

Sicher. Er wird bald selig und heilig gesprochen werden. Die Vorstellung, dass jetzt alle mit Fotoshop und Re-Enactement an diesem Image herumwerkeln, finde ich schrecklich. Ich sehe dann immer so ein katholisches Heiligenbildchen vor mir. Ich habe Angst, dass der Papst, der so viel über das Leben wusste und der gute und schlechte Dinge gemacht hat, jetzt nur noch verklärt wird. Stellen Sie sich vor, wie er mit weißer Aura auf einem riesigen Billboard über dem New Yorker Times Square schwebt. Gleich neben dem Coca-Cola-Logo. Das hätte er nicht verdient.