Björks Stimme war bis nach Neukölln zu hören

STARPOWER Durchgebrandete Events: My Bloody Valentine, MIA, Blur und Alfa Romeo beim „Berlin Festival“ am Flughafen Tempelhof

Und selbst Tonstörungen konnten dem Auftritt der Pet Shop Boys nicht die Würde rauben

Wenn man ausblendete, dass man auf einem großen Event beim zweitägigen Berlin Festival auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof war, tönte es von den Bühnen charmant, brachial laut und erstaunlich unrockistisch. Mit der größten Selbstverständlichkeit war dafür eine hochkarätige Ansammlung von Stars aufgeboten. Björk, Blur, My Bloody Valentine und die Pet Shop Boys. Hätten die Beatles in Originalbesetzung gespielt, es wäre nicht weiter verwunderlich gewesen.

„Ihr Lieben, seid ihr mit mir?!“ (Mieze, MIA). Nur die fade Auswahl an deutschem Mittelstandsrock und sein professioneller Coachingsprech – ein Trauerspiel.

Die Tic-Tac-Erfrischungsdusche mit Minzeextrakt-Düsen sorgte für penetrant riechende Abkühlung. Auch nicht jedermanns Sache: Der Alfa-Romeo-Pkw „MiTo, Twin Air“ prominent aufgebockt an der großen Bühne. Als offizieller Festivalsponsor hatte Alfa Romeo „Hotseats“-Logengerüste installiert. Dort verfolgten Premiumgäste die Konzerte in fünf Metern Höhe. Pop als Zweiklassengesellschaft.

„Berlins Atmosphäre ist elektrisierend.“ Neil Tennant verzog keine Miene. Der Pet-Shop-Boys-Sänger trug eine schwarze Stacheljacke. Nicht von Verstärkern war Tennant eingerahmt, zwei Tänzer gestalteten den Sound für ihn beweglich. Und der hymnenhafte Synthiepop der Pet Shop Boys hat den Bezug zur Britishness beibehalten, dieser melancholischen Welt aus Kitchensink-Drama und der Einsilbigkeit von Ziegelsteinen. Auch im Livekontext fühlt sich das an wie eine Fotografie von Martin Parr. Selbst Tonstörungen konnten dem Auftritt mit „I wouldn’t normally do this kind of thing“ als Höhepunkt nicht die Würde rauben.

„Ich mag es wirklich nicht, Musik und Politik miteinander zu mischen, aber die Situation in Syrien erinnert mich an einen alten Song.“ Beim ersten Gig nach der Wiedervereinigung von Blur kamen Damon Albarn noch die Tränen. Diesmal war er routinierter und zauberte besagtes „Out of Time“ aus dem Hut. Applaus. Ansonsten waren die Leute am Tanzen. Darunter übrigens auch R.E.M.-Sänger Michael Stipe, der zu Blurs „Boys will be Girls“ erfreut herumsprang und sein Bier verspritzte, ohne dass ihn irgendjemand behelligte.

„Hallo!“ My Bloody-Valentine-Gitarrist Kevin Shields verlor keine großen Worte. Denn es ging um eine Sache, die größer ist als alles andere: Wall of Sound. In seinem Rücken fünf Verstärkertürme. Und der mesmerisierenden, die Augäpfel hervorkitzelnden Lautstärke nach zu schließen, waren sie auch angestöpselt. Gerade im technisch unperfekten Mürrischen dieses Krachs gefiel der Gig. Dass es der Gesang von Bilinda Butcher schwer hatte, geschenkt.

Dafür war Björks Stimme am Samstag bis Neukölln zu hören. Der isländischen Sängerin gebührt auch der Preis fürs schönste Bühnenkleid. Ihr Kopf blieb hinter einer Unterwasserpflanzenhaube verborgen. Auf drei Leinwänden waren Naturaufnahmen von tanzenden Seesternen, Vulkanausbrüchen oder schmelzenden Gletschern zu sehen. Dazu funzten Breakbeats. Und ein isländischer Gospelchor. JULIAN WEBER