Das Stakkato der Großwohnanlage

ARCHITEKTUR UND FILM Eine Antwerpener Ausstellung untersucht den Zusammenhang von bewegtem Bild und stehendem Bauwerk

Einige der gefilmten Architekturen strahlen im Verfall mehr Würde aus als Neubauten der Gegenwart

VON MICHAEL KASISKE

Architektur war für die frühe Fotografie das Objekt schlechthin, konnte ihre durch Licht und Schatten erzeugte Plastizität doch trotz langer Belichtungszeiten spannungsreich eingefangen werden. Aber der Architektur die Hauptrolle im Film zu geben, der Raum, Körper und Zeit erfasst, ist das ein guter Ansatz? Die 19 Filme der Ausstellung „2 1/2 Dimensional: Film Featuring Architecture“ im Antwerpener Kunstcampus deSingel lassen jedenfalls keine Langeweile aufkommen: Mal wird ein Gebäude visuell erzählt, mal das Medium Film entlarvt.

16 künstlerische Positionen hat der Kurator Moritz Küng versammelt. Der Ausstellungstitel drückt die Überlappung von Bild und Raum im Film aus, der einst Le Corbusier zur sogenannten promenade architectural inspirierte. Damit sind sich entlang eines Wegs ändernde Raumsequenzen gemeint, die im Ausstellungsgebäude, 1969 von dem belgischen Architekten und ehemaligen Le-Corbusier-Mitarbeiter Léon Stynen entworfen, mit Rampen, Luftgeschossen und überraschenden Durchblicken kongenial aufgefächert werden.

Im deSingel hat die Belgierin Joëlle Tuerlinckx denn auch selbstsicher oder zögernd Schreitende in einem 80 Meter langen Korridor gefilmt. Auf der mitten in diesem Raum installierten Projektionsfläche glaubt sich der Besucher wiederzuerkennen, bevor sich die vermeintliche Interaktion als eine Illusion entpuppt.

Einen hyperrealistischen Kontrast dazu setzt der Fotograf Tobias Zielony mit dem Beitrag „Le Vele di Scampia“ über eine Hochhaussiedlung nahe Neapel aus den 1960er-Jahren, deren unübersichtliche Gemeinschaftsflächen sich in Orte der Gewalt verwandelt haben. Durch den Durchlauf von zehn Bildern pro Sekunde (anstatt 24) entsteht ein apokalyptisch wirkendes Stakkato der Großwohnanlage.

Heidi Specker kommt mit „Landhaus Lemke“ auf das von ihr schon fotografisch porträtierte, von Mies van der Rohe entworfene Haus in Berlin zurück. Der für diese Ausstellung produzierte Film ist beseelt von den einstigen Bauherren Karl und Martha Lemke. Wände, Fenster und Vorhänge im Licht- und Wetterwechsel präsentiert Specker im ersten Teil, den sie der sehr mit dem Haus verbundenen Frau widmet, die 1945 das Inventar nach Westberlin rettete und darin insgesamt rund fünfzig Jahre lebte. Der zweite Teil zeigt Details einer Tischgesellschaft im Wohnraum, wie sie mutmaßlich dem gesellschaftlich aktiveren Karl Lemke lag. Die sperrige Musik bildet eine von den Bildern unabhängige Schicht.

Die Projektion von „The house belongs to those who inhabit it“ der Bangladescherin Runa Islam erinnert daran, dass Film eine belichtete Folie ist. Der auf 16-mm-Material gedrehte Film läuft sichtbar durch den Projektor, dessen Mechanik die laufenden Bilder geräuschvoll physisch greifbar macht. Das ist Filmerlebnis pur. Alle anderen Filme werden über Beamer projiziert, was besonders bei „Sullivan’s Banks“ aus der Serie „Architektur als Autobiografie“ von Heinz Emigholz enttäuscht, da der Film ursprünglich auf 35 mm gedreht wurde.

Dieser Verlust ist schmerzlich. Denn einige der ausgewählten Architekturen strahlen selbst im Verfall mehr Würde aus als Neubauten der Gegenwart. So etwa Robert Mallet-Stevens’ Villa Cavrois im Film von Guillaume Leblon. Wie hintergründig Gebautes wirken kann, verdeutlicht „Ghost“ von Matthias Meyer, in dem er Sequenzen aus Jean-Luc Godards Film „Die Verachtung“ extrahiert, die – bar aller Handlung – ausschließlich den Hauptschauplatz, die Casa Malaparte auf Capri, zeigen. Zusammengeschnitten ergibt sich ein umfassendes, melancholisch stimmendes Bild des Gebäudes, das der Geschichte vom Zerfall einer Ehe – im Film inszeniert der fast erblindete Regisseur Fritz Lang das Melodram – einen verwandten Raum bot.

Geradezu human wirken danach die drei enigmatischen Betonbauten in den Filmen von Aglaia Konrad. Während das Wohnhaus äußerst expressiv ist und zuweilen den Eindruck einer begehbaren Skulptur vermittelt, überwältigt bei den beiden Kirchen die Präsenz des rohen Betons; das gilt besonders für die 1963 von Claude Parent und Paul Virilio im burgundischen Nevers errichtete „Sainte-Bernadette“, die wie ein Schutzbunker erscheint.

Wie sehr die Architektur selbst als Projektionsfläche dient, zeigt der Film „Rodakis“ von Olaf Nicolai. Mit der Kamera wird ein verlassenes Haus abgetastet, das einst von einigen Protagonisten der modernen Architektur zur Ikone ihrer Bewegung stilisiert wurde. Aus dem Off wird über den Erbauer Alexis Rodakis berichtet, der nach der Fertigstellung des Hauses spurlos verschwand. Im Abspann erfährt der Zuschauer, dass das Erzählte frei erfunden war. Architektonischer Schein? Macht der bewegten Bilder? Die klassischen Fragen sind in der Ausstellung erneut zu diskutieren.

■ Bis 22. Mai, deSingel Internationale Kunstcampus, Antwerpen/ Belgien, www.desingel.be