Soll der Westen militärisch eingreifen?
Ja

SYRIEN Auch unter Syrern ist umstritten, wie der Bürgerkrieg beendet werden kann

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Raed Fares, 40, lebt in Kafranbel und organisiert dort friedliche Demonstrationen

Wir haben seit 2011 darum gebeten, dass die USA in Syrien eingreifen. Die Freie Syrische Armee (FSA) schafft es alleine nicht. Assad hat alle möglichen Waffen, Flugzeuge, schwere Artillerie. Wir haben nichts davon. Aber wenn die Amerikaner helfen, kann es ganz schnell gehen. Natürlich haben wir auch Angst davor, was bei einem US-Angriff passieren kann. Aber unser Land ist schon zerstört, 100.000 Menschen sind tot. Was soll denn noch Schlimmeres passieren? Die meisten Leute in Kafranbel denken so wie ich. Viele sind enttäuscht, dass Amerika immer noch zögert. Deswegen habe ich ein Video ins Internet gestellt, in dem Kinder aus unserem Dorf die USA um Hilfe bitten. Unter ihnen ist keines, das nicht jemanden aus seiner Familie verloren hat.

Restam Tammo ist kurdischer Anwalt und Aktivist aus Hassake im Nordosten Syriens

Die syrische Bevölkerung leidet, Massaker und Zerstörung sind an der Tagesordnung. Unglücklicherweise hat die internationale Gemeinschaft bisher nichts unternommen, auch nicht die USA, sonst wäre die Situation jetzt ganz anders. Ich denke, dass die USA immer noch nicht eingreifen wollen, sie wollen nur verhindern, dass sie ihr Gesicht verlieren. Aber Angriffe, die nicht zum Sturz des Regimes führen, werden uns sogar schaden. Dann kann Assad die Luftschläge nutzen, um sich als Held hinzustellen, der sogar eine US-Intervention überstanden hat. Und dann wird er weitermorden. Ich bin für einen Eingriff, aber er muss Teil eines umfassenden Plans sein, wie Assad zum Rücktritt gezwungen und das Leiden des syrischen Volkes endlich beendet werden kann.

Mayada al-Khalil, 30, war inhaftiert und ist 2013 aus Damaskus nach Berlin geflohen

Ich entstamme einer alevitischen Familie, bin aber bereits seit 2002 als Aktivistin politisch tätig, zunächst an der Universität Aleppo. 2004 habe ich den Aufstand der Kurden politisch unterstützt und war daran beteiligt, ein Forum für den Austausch junger Oppositioneller zu gründen. Ich glaube, durch einen Militärschlag könnte endlich ein politischer Prozess in Syrien in Gang gesetzt und damit auch ein Anfang vom Ende des Konflikts erreicht werden. Der militärische Druck kann das Regime zu Verhandlungen bewegen, so dass das politische Ende Assads erreicht werden kann. Auch ein begrenzter Militärschlag kann ausreichend Druck auf das Regime ausüben. Die Menschen in Damaskus begrüßen ein Eingreifen der Amerikaner, da sie auf ein Ende des Konflikts hoffen. Zwar befinden sich viele Militäreinrichtungen in Damaskus, aber die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Krise überwiegt die Angst, selbst Opfer des Militärschlags zu werden.

Abu Adnan*, 29, aus Deir Azzour ist Zahnarzt und arbeitet in einem FeldlazarettWir sind verunsichert, weil die Amerikaner jetzt auf die russische Initiative eingegangen sind. Warum glauben sie den Lügen Assads? Die Leute sterben, Männer, Frauen, Kinder. Wir sind dem Regime ausgeliefert. Wir träumen davon, dass uns jemand beschützt. Die Freie Syrische Armee macht seit einem Jahr keine Fortschritte mehr. Wir Syrer wollen zu einem zivilisierten Leben zurückkehren. Wir wissen nicht, ob US-Luftschläge uns nützen oder nicht, aber eine andere Hoffnung haben wir nicht. Wenn die Amerikaner nicht eingreifen, kann der Krieg noch 10, 15 Jahre dauern, und am Ende gewinnt niemand. Der Krieg muss aufhören, auf welche Art auch immer, damit wir anfangen können, Syrien wiederaufzubauen.

Nein

Nahed al-Husseini, 48, lebt in Damaskus und arbeitet dort als Journalistin

Niemand in Syrien will, dass die Amerikaner militärisch eingreifen. Hier in Damaskus sind die Menschen sehr verängstigt. Viele setzen sich für den Frieden ein, ständig sind in der Stadt irgendwo Demonstrationen gegen mögliche US-Angriffe. Wer tatsächlich glaubt, eine militärische Intervention könnte das Regime stürzen, der irrt gewaltig. Die Folge amerikanischer Luftschläge wäre ein gigantischer Krieg, ein regionaler Flächenbrand, den niemand mehr aufhalten könnte. Wir müssen eine politische Lösung finden, das ist der einzige Weg. Aber bislang hat die internationale Gemeinschaft keinerlei Konzept hinsichtlich Syriens. Der Westen ist nicht neutral und unterstützt nur die eine Seite. Sie hören dem Regime überhaupt nicht zu. Das ist das Problem. Denn wenn man nur die eine Seite berücksichtigt, lassen sich Konflikte nicht lösen.

Kenan Darwich, 32, ist Künstler, lebt in Berlin und gründete den Friedenskreis SyrienSeit zwei Wochen wird über den Chemiewaffeneinsatz und die militärische Reaktion darauf diskutiert. Dabei vergisst die Welt, dass die Zivilbevölkerung an jedem einzelnen Tag in Syrien um das nackte Überleben kämpft. Heute gilt es, diese humanitäre Katastrophe und das Blutvergießen zu beenden. Dafür muss dem bewaffneten Konflikt die Legitimität entzogen werden. Nur Friedensverhandlungen können der syrischen Bevölkerung in ihrer vielfältigen Zusammensetzung wirklich helfen, die Gewalt, den Fanatismus und die Brutalität zu überwinden. Die in Deutschland kaum präsente, friedliche und pluralistische Opposition in Syrien ist chancenlos, solange der bewaffnete Bürgerkrieg über das Schicksal des Landes entscheidet. Nur eine regionale und internationale politische Lösung, die die Polarisierung in diesem Krieg beilegt, hilft das Blutvergießen zu beenden. Stop killing, start talking!

Hamza Abdelrahman, 25, ist Mitglied der dschihadistischen Gruppe Ahrar al-Sham

Die USA mögen Assad nicht, sie mögen aber auch die islamistischen Gruppen nicht. Das bedeutet: Wenn sie in Syrien eingreifen, werden sie beiden Seiten schaden. Ich glaube auch nicht, dass Amerika Assad wirklich loswerden will. Sonst hätten sie ja schon vor zwei Jahren angreifen können. Hinzu kommt, dass die USA eine dunkle Geschichte haben, wenn man sich anschaut, wie sie bislang mit muslimischen Ländern umgegangen sind, sei es Afghanistan oder Irak. Wenn sich Obama wirklich dazu durchringt zuzuschlagen, wird er sicher auch islamistische Gruppen bombardieren. Viele Rebellen tragen aber inzwischen die schwarze Flagge des Islam und machen sich Sorgen, dass sie angegriffen werden. Die USA haben dem Nahen Osten noch nie etwas Gutes getan.

Rim*, 28, arbeitet als Psychologin in Lattakia und hat Angehörige bei der syrischen Armee

Mein Vater und mein Bruder sind beim Militär. Wir wohnen in der Nähe einer Kaserne, könnten bei einem Angriff der USA also selbst getroffen werden. Eigentlich wollten wir in den Libanon ausreisen, aber seit Obama einen Militärschlag angekündigt hat, muss man an der Grenze ein Flugticket oder einen Mietvertrag vorweisen. Assad hat einen Fehler gemacht, als er 2011 nicht auf die Forderungen nach Reformen eingegangen ist. Er hätte das Land verändern können, indem er die Wirtschaft liberalisiert, die Korruption bekämpft und Freiheiten schafft. Aber lieber lebe ich sicher in Unfreiheit, als dass ich befürchten muss, von Dschihadisten umgebracht zu werden. Denn ein Angriff der USA würde diese nur stärken.