Groß-WG der Wahlverwandten

AUS DORTMUND CHRISTIANE MARTIN

„Die Idee der Wahlverwandtschaft und die Möglichkeit autonom und doch gemeinsam zu leben hat uns einfach begeistert“, sagt Rosemarie Ring. Die Stadtplanerin hatte sich im Jahr 2001 mit ihrer Kollegin Helga Steinmaier in Bremen ein Frauenwohnprojekt angeschaut, das an die historische Kultur der Beginen anknüpft (siehe Kasten). Dann war sie voller Ideen und Tatendrang in ihre Heimatstadt Dortmund zurückgekehrt. „Das machen wir hier auch“, beschlossen die beiden Frauen.

Fünf Jahre später steht Rosemarie Ring in der Wohnküche einer Dreizimmer-Wohnung, die sie mit zwei anderen Frauen teilt, und packt Umzugskisten aus. Vor wenigen Tagen ist die 51-Jährige im Dortmunder Beginenhof eingezogen, einem zweigeschossigen, U-förmigen Gebäude mit orange-gelb leuchtender Fassade. Etwa 30 Frauen zwischen 27 und 75 Jahren wohnen hier: Lesben und Heteras, Mütter und Kinderlose, in Beziehungen Lebende und Singles, Berufstätige, Arbeitslose, Rentnerinnen. Viele sind Alt-68erInnen aus der Frauenbewegung, viele sind aber auch gänzlich unpolitisch – eine bunte Gemeinschaft.

Nicht alle wohnen wie Rosemarie Ring und ihre Mitbewohnerinnen in einer Wohngemeinschaft. Die meisten haben eine 40 bis 60 Quadratmeter große Einzelwohnung mit Balkon oder Terrasse, deren Zuschnitt ihren Wünschen angepasst wurde. „Innerhalb der Beginengemeinschaft wird traditionell die Individualität bewahrt“, sagt eine der Bewohnerinnen. „Ohne dass man einsam wird, was man sonst ja meist in Kauf nehmen muss, wenn man außerhalb familiärer Strukturen und selbst bestimmt leben will“.

Der Bedarf nach Alternativen zu den herkömmlichen Lebensformen als Familie, Paar oder Single scheint jedenfalls groß zu sein. „Wir hatten mit unserer Idee sofort großen Zulauf“, erinnert sich Ring. Viele der heutigen Dortmunder Beginen seien von Anfang an mit dabei gewesen, hätten auch das Auf und Ab des Projekts miterlebt. Heute seien sie daher alle umso glücklicher, dass der Traum wahr geworden ist. „Wir haben lange nach einem geeigneten Objekt gesucht, bis wir uns dann doch für einen Neubau entschieden haben“, erzählt sie weiter.

Ursprünglich wollten die Dortmunder Beginen eine Genossenschaft gründen und so ihr Wohnprojekt selbst finanzieren. Die nötigen Kapitaleinlagen der einzelnen Beginen wären aber zu hoch gewesen. „Die meisten Frauen hier haben nicht viel Geld“, sagt Ring. Deshalb seien die meisten Wohnungen letztendlich öffentlich geförderte Sozialwohnungen geworden. Bis Anfang 2005 hatten die Beginen das Umsetzungskonzept mit der Stadt Dortmund beschlossen, ein Grundstück und einen Investor gefunden, und der Bau konnte beginnen.

Jetzt ist fast alles fertig, seit Anfang 2006 haben die Frauen ihre Wohnungen bezogen. Nur der Außenbereich gleicht noch einem Schlammloch und wartet auf seine Gestaltung. „Im Innenhof sollen Fahrradständer aufgestellt werden, natürlich Bänke und vielleicht ein Springbrunnen“, erzählt Helga Steinmaier begeistert. Sie wohnt zwar nicht im Beginenhof, gehört aber als Mitiniatorin des Projekts zur Beginengemeinschaft und verbringt viel Zeit hier. Sie wird auch in einer der zehn Arbeitsgemeinschaften mitmachen.

Die AGs sind erst vor wenigen Tagen gegründet wurden und sollen der Beginengemeinschaft eine Struktur geben. Jede Begine muss in mindestens einer dieser Arbeitsgemeinschaften mitarbeiten. Sie widmen sich unter anderem der Öffentlichkeitsarbeit, dem Gemeinschaftsleben, der Vermietung und Verwaltung, der Gründung einer Food-Koop und neuen beruflichen Perspektiven für einzelne Beginen. „Eine Arbeitsgemeinschaft wird auch die Gartengestaltung übernehmen“, erzählt Steinmeier. Tatsächlich ist hinter dem Haus genug Platz für einen großen Garten mit Nutzbeeten, Kräuterfeldern, Wiesen und Bäumen. Noch überlegen die Beginen, ob sie einzelne Bereiche des Gartens an Frauen „von draußen“ verpachten. „Nach außen strahlen, zeigen, wie man sozial zusammen leben kann, ein gutes Beispiel sein – das gehört auch zu unseren Zielen“, erklärt Steinmeier die Idee. Man habe sich auch letztlich bewusst für den Standort in der Dortmunder Nordstadt entschieden, einem bunten, lebhaften Viertel, das aber von der Sozialstruktur her eher problematisch sei.

Schließlich nennen die Dortmunder Frauen ihr Projekt nicht umsonst Beginenhof. „Wir haben Werte, die wir teilen und die wir auch nach außen tragen, wir haben Vorstellungen von einem ganzheitlichen Leben“, sagt eine von ihnen. Sie fühlt sich als Begine und gebraucht den Ausdruck mit unüberhörbarem Stolz. „Der Begriff ist so schön unbelastet, weil viele gar nicht wissen, was Beginen sind. Da gibt es keine Vorurteile. Das kann man selbst mit Inhalt füllen“, sagt sie weiter. Und auf die Frage, was eine Begine denn nun sei, antwortet sie: „Die historische Antwort auf moderne Probleme.“