RALPH BOLLMANN POLITIK VON OBEN
: Berlusconis Tröpfelduschen

Der Ministerpräsident ignoriert westliche Standards, das Internet fällt aus und überall trifft man auf Doppeldeutigkeit. Italiens Widerstand gegen die Globalisierung nervt

Auf den kleinen Laden setzte ich meine letzte Hoffnung. Stundenlang hatte ich mich durch die italienische Stadt geschlagen, Passanten befragt, mich in Bars erkundigt. Es war absehbar, dass ich es vor der Mittagspause nicht mehr schaffen würde. Kurz nach ein Uhr hatte ich das Internetcafé lokalisiert, in dem ich drei Stunden später meine Kolumne an die Redaktion schicken könnte. Vorausgesetzt, es würde tatsächlich um vier Uhr wieder öffnen. Ganz sicher war das nicht, jeder Hinweis auf Öffnungszeiten fehlte.

Als ich wiederkam, stand die Tür tatsächlich offen. Hoffnungsvoll deutete ich auf den Durchgang, über dem „Internet Point“ stand. Der korpulente Mittdreißiger machte eine abwehrende Handbewegung. „Das Internet ist heute kaputt“, sagte er, als sei das normal. Auf meine Frage nach Alternativen sagte er: „Offiziell bin ich der Einzige in der Stadt.“ Früher hätte es mir Spaß gemacht, den Verhandlungsspielraum auszuloten, den das Wörtchen „offiziell“ bietet. Damals, als es in Deutschland noch zum guten Ton gehörte, die Italiener und ihre Schrulligkeiten vorbehaltlos zu lieben. Jetzt hatte ich dazu einfach keine Lust. Nicht nur, weil ich genervt war. Sondern auch, weil ich finde, dass es Grenzen gibt. Grenzen der Toleranz gegenüber kollektivem Politikversagen.

Ein paar Tage vorher hatte ich mit dem Wachmann diskutiert, der unsere Feriensiedlung beaufsichtigte. Er hatte gerade die Sicherung lokalisiert, damit wir Strom kriegen. Dafür waren wir ihm ziemlich dankbar. Auch wenn das nichts daran änderte, dass aus der Dusche nur wenige Wassertropfen kamen und dass die wunderbare Küstenlandschaft durch illegale Bauten schwer gelitten hatte.

Den Wachmann beschäftigten andere Fragen. Er wollte wissen, wie viel man in Deutschland denn verdiene. Unzufrieden zeigte er sich mit meiner Antwort, dass die Reallöhne in Deutschland seit zwanzig Jahren kaum gestiegen seien und ich als Journalist kaum mehr verdiene als der von ihm als Beispiel zitierte Polizist. In der Zeitung hatte ich tags zuvor gelesen, dass jeder zweite erwerbstätige Italiener nicht mehr als 15.000 Euro pro Jahr versteuert. Der feine Unterschied zwischen „versteuert“ und „verdient“ gehört ebenfalls zu den Doppeldeutigkeiten, für die mein Verständnis langsam schwindet. Italien ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich sogar ein EU-Mitglied der Globalisierung konsequent verweigern kann. Eine absurde Bürokratie, mafiöse Strukturen und die allgemein verbreitete Gleichgültigkeit halten internationale Konkurrenz erfolgreich fern.

Das alles kann man selbstverständlich tun, dazu hat jedes Land das Recht. Man darf sich auch einen Ministerpräsidenten wählen, der diese Ignoranz gegenüber westlichen Standards verkörpert. Man muss nur bereit sein, die Folgen zu tragen.

„Selber schuld“, hätte ich zu dem Wachmann fast gesagt.

Der Autor, taz-Redakteur, studierte in Bologna und urlaubt gerade in Italien Foto: Archiv