Eine Windhose kommt selten allein

Über das Hochwasser geraten andere Ereignisse rasch aus dem Blick. Zum Beispiel der Tornado: Insgesamt sechs dieser Stürme fegten vor zwei Wochen über den Norden. Das sagt der Meteorologe Thomas Sävert im taz-Interview

So viele Tornados wie vor zwei Wochen wurden in Deutschland noch nie auf einmal verzeichnet – das hat der Meteorologe Thomas Sävert herausgefunden, der die noch junge Tornado-Forschung in Deutschland vorantreibt. Seine Erkenntnis: Tornados sind in Deutschland weder seltener noch harmloser als in den USA.

So viele Tornados auf einmal – wie kommt das?

Das wissen wir – noch – nicht. Früher wurden Tornados in Deutschland kaum registriert, heute machen immer mehr Leute Fotos, die Wahrnehmung ist geschärft. Zudem ist solch eine Extremlage wie am 27. März für die Jahreszeit selten: ein heftiger Kaltlufteinbruch am ersten halbwegs warmen Tag und sehr starke Höhenwinde.

Hat das etwas mit der Landschaft im Norden zu tun?

Auch. Der Norden bietet gute Voraussetzungen, weil die Höhenwinde im Bereich der durchziehenden Atlantiktiefs hier oft stärker sind als im Süden.

Sie sagen, Tornados seien in Deutschland keineswegs ein neues Phänomen.

Nein. Aber wir beschäftigen uns erst seit kurzem ausführlich damit, deshalb gibt kaum gesicherte Statistiken. Dabei war Deutschland in den 20er und 30er Jahren weltweit führend in der Tornadoforschung.

Wirklich?

Das weiß eben kaum jemand mehr. Alfred Wegener hat das Phänomen erforscht. In dieser Zeit wurden viele Tornados beobachtet. Aber nach dem Krieg ist dieses Wissen verloren gegangen, wir fangen bei Null wieder an. In den USA hat die Tornado-Forschung in den 50er, 60er Jahren eingesetzt, bei uns gar nicht. Hier wird indes geglaubt, in den USA gebe es die gefährlichen Tornados und bei uns nur harmlose Windhosen. Deshalb wurden Tornados hier oft ignoriert.

Windhose und Tornados sind also was Verschiedenes?

Eben nicht! Beide Begriffe meinen dasselbe. Den Leuten muss erst mal klar werden, dass es Tornados bei uns schon immer gab.

Sind unsere Tornados genauso heftig wie die in den USA?

Das sind sie. In den USA gibt es rund 1.200 Tornados pro Jahr, mehr als 80 Prozent sind sehr schwach – aber die wenigen sehr heftigen schaffen es in die Nachrichten. Tornados der höchsten Stufe, mit Geschwindigkeiten ab 420 Kilometer in der Stunde, gibt es nur ganz selten, auch in den USA. Gab es hier aber auch schon: 1764 in Mecklenburg und 1800 in Sachsen.

Wenn Sie im Norden mindestens sechs Tornados am 27. März zählen, wie viel hat es dann tatsächlich gegeben?

Keine Ahnung. Aber ich gehe davon aus, dass es an diesem Tag noch weitere Tornados gab.

Interview: sgi