„Alle schütteln den Kopf“

Dirk Bauermann, Basketballbundestrainer und Meistercoach von GHP Bamberg, über das Ansehen der Deutschen in der europäischen Korbjägerszene und die Diktatur des physischen Spiels

INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Herr Bauermann, Berlin und Bamberg haben die Bundesliga bisher dominiert. Ein echtes Duell?

Dirk Bauermann: Ja, das Duell einer kleinen, sehr schönen gemütlichen Stadt mit 80.000 Einwohnern gegen die Hauptstadt. Es treffen unterschiedliche Ansätze aufeinander, das Programm, das in Deutschland sieben Jahre lang dominiert hat, gegen das Programm, das sich in den letzten drei Jahren am besten entwickelt hat.

Im letzten Spiel der Punkterunde am Sonntag wird es auch zu einem Widerstreit der Spielsysteme kommen: Offensive gegen Defensive.

Sicherlich. Aber man muss einen Ausgleich finden. Und man muss, wenn es in der Offensive nicht optimal läuft, Spiele in der Verteidigung gewinnen. Auch die Berliner können das. Und wir müssen sehen, dass wir über die Verteidigungsarbeit das Punktemachen nicht vergessen.

Sie raten den Berlinern, sich mehr auf die Verteidigung zu konzentrieren?

Ich habe den Berlinern gar nichts zu raten. Aber ohne gute Verteidigung wird keine Mannschaft erfolgreich sein, da wird auch keine Deutscher Meister.

Verteidigen heißt immer auch Zerstören. Ist der Bamberger Basketball hässlich?

Das finde ich albern. Die Fans, die etwas vom Spiel verstehen, die goutieren, erkennen und respektieren unseren Stil. Die erfolgreichen Berliner Teams der Neunzigerjahre haben immer sehr intensiv gespielt. Dann müssten sie sich auch vorwerfen, über acht, neun Jahre hässlich gespielt zu haben. Wann freuen sich die Leute am meisten? Wenn man Meister wird oder Pokalsieger, aber nicht weil man die meisten Punkte in der Liga gemacht hat.

In der NBA sieht man das oftmals anders.

Sicher, aber da sieht man bisweilen Spiele, in denen es so ausschaut, als ob es einen Nichtangriffspakt gäbe. Nur hin und her laufen, ein Pass, und der Erste, der den Ball bekommt, haut den dann drauf. Das ist keine Spielkultur, die man in Europa sehen will. Ein Spiel, das mit 75:75 in die Verlängerung geht, kann mindestens genauso unterhaltsam sein wie eines, das 110:110 ausgeht. Die Leute wollen sehen, dass gefightet wird. Die wollen nicht nur beobachten, wie sich Mannschaften gegenseitig den Ball um die Ohren werfen.

Bei Bamberg gibt es keinen herausragenden Einzelakteur. Wie wichtig ist Ihnen mannschaftliche Geschlossenheit?

Wenn man erfolgreich sein will, muss einer für den anderen spielen. Gerade wenn man die Betonung auf die Verteidigung legt und einer schießt 50 Prozent aller Würfe, dann schadet das der Motivation, sich in der Verteidigung zu engagieren. Dann fühlt man sich als Rumrenner missbraucht. Und im Basketball will nun mal jeder ab und an auf den Korb werfen.

Einen Star gibt es in Bamberg dennoch, den Trainer. Wie gehen Sie damit um?

Ich finde es manchmal schon störend. Durch Bamberg kann ich eigentlich nicht gehen. Störend nicht deshalb, weil die Menschen unangenehm wären. Im Gegenteil. Aber diese Fokussierung auf meine Person empfinde ich als unangenehm. Aber das gehört in Bamberg dazu. Der Basketball ist hier das, was mehr als alles andere interessiert.

Fühlen Sie sich als Star?

Überhaupt nicht. Ich habe ja auch genügend Erfahrungen gemacht, die mir deutlich gezeigt haben, dass man schön mit den Füßen auf dem Boden bleiben muss und längst nicht alles Gold ist, was glänzt, dass man ganz schnell richtig auf die Fresse fallen kann.

Ihre emotionalen Auftritte an der Seitenlinie kommen nicht immer gut an. Brauchen Sie diese Art zu arbeiten?

Das macht ja auch Spaß. Im Vergleich zu meinen Leverkusener Zeiten bin ich schon deutlich ruhiger geworden. Aber ich könnte mich nicht hinsetzen und das Spiel nur analytisch vor mir herlaufen lassen. Dazu lebe ich das zu sehr. Ich habe vor kurzem einen sehr netten Brief aus Gießen bekommen: Gratulation zur EM-Silbermedaille und ich wäre in den letzten fünf Jahren richtig sympathisch geworden.

Das würden viele Schiedsrichter sicher anders sehen.

Klar, bin ich da sichtbar und polarisiere auch, sicher auch in der Absicht, einmal einen Schiedsrichter zu beeinflussen. In dem Zusammenhang ist Erfolg oder Respekt wichtiger als Beliebtheit. Ich hätte auch lieber, dass mich alle gut finden oder nett, aber das ist am Ende nicht so wichtig.

Wie sehen Sie die deutschen Schiedsrichter?

Die Frage, ob sich unser Spiel durchsetzen kann oder nicht, hängt auch davon ab, wie die Schiedsrichter pfeifen. Wenn eine physische Art und Weise zu spielen möglich wird, dann ist das eher gut für uns. In der Europaliga war es genau umgekehrt. Da zeigt sich, wie weit der deutsche Basketball von der europäischen Spitze entfernt ist. Wenn es physisch wurde, und die Schiedsrichter die Jungs haben spielen lassen, waren wir chancenlos.

Das so genannte körperlose Spiel gehört also endgültig der Vergangenheit an?

Das gibt es nicht mehr. In der NBA hat man eine bewusste Entscheidung getroffen. Dort will man das Physische herausnehmen, damit es dynamischer wird und mehr Körbe fallen. Je mehr ich an physischem Kontakt zulasse, desto schwieriger ist es zu punkten. Aber wir spielen europäisch. Und hier wird ganz klar physisch gespielt.

Was bedeutet das für die Ergebnisse?

Die sind fast nie im Bereich von 90 Punkten. In den Playoffs in der Bundesliga wird es fast nie ein Spiel geben, in dem es insgesamt mehr als 150 Punkte gibt. Wenn die Liga der europäischen Spitze wieder näher kommen will, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als eine europäische Spielkultur zu etablieren.

In der Nationalmannschaft heißt der Star Dirk Nowitzki. Von mannschaftlicher Geschlossenheit kann da nicht die Rede sein.

Jeder Trainer hat eine bestimmte Auffassung vom Spiel, eine bestimmte Philosophie. Aber diese Philosophie darf nie wichtiger sein, als die Spieler, die er hat. Eine Klubmannschaft kann man zusammenstellen. Die Nationalmannschaft stellt sich zum Teil von selbst auf. Da muss man versuchen, die Teile des Puzzles so zusammenzusetzen, dass es passt. Auch wenn man es selbst gern anders hätte.

Wie gehen Sie mit Dirk Nowitzki um?

Dirk braucht den Ball in seinen Händen. Ständig, nicht nur ab und zu. Ihn dazu aufzufordern, deutlich weniger zu werfen, um den anderen den Ball zu geben, wäre sicher falsch, weil es zu viel von ihm wegnehmen würde. Es geht darum, Spieler zu finden, die das mittragen. Wenn man ihn nicht füttert, wird es eben nichts. Das verstehen alle.

Die spielen ja auch auf einem anderen Niveau als Nowitzki.

Es ist sicher deprimierend, zu sehen, wie schwer sich unsere Silbermedaillengewinner tun. Ein Robert Maras zum Beispiel spielt in der zweiten spanischen Liga so gut wie gar nicht. Patrick Femerling spielt in Athen auch kaum. Stephen Arigbabu spielt in Berlin so gut wie gar nicht. Das ist manchmal schon schwer nachzuvollziehen.

Welchen Stellenwert hat denn der deutsche Basketball in Europa?

Der deutsche Basketball bekommt sehr wenig Respekt. Im Grunde schütteln die alle ein bisschen den Kopf und sagen: Wie kann das denn sein, dass ein Land mit solch einer Potenz so rumkrebst?

Was antworten Sie darauf?

Ich sage, dass das nicht so bleiben wird, dass sich die anderen warm anziehen müssen.

Sie sind schon in diesem Jahr mit Bamberg in der Europaliga unter die besten 16 gekommen. Wie haben Sie das geschafft?

Da war auch ganz viel Glück dabei. Von der Qualität her sind wir keine Top-16-Mannschaft. Wir haben eine gewisse Qualität, die Mannschaft kann auch deutscher Meister werden, aber in der europäischen Spitze angekommen sind wir noch nicht.

Wie kann Basketball aus Deutschland wirklich konkurrenzfähig werden?

Das wird ja auch im Fußball tagtäglich diskutiert. Die Idee ist, dass wir bei den Kleinsten anfangen, dass wir Sechs- bis Achtjährige für unsere Sportart begeistern. Wenn wir das nicht tun, dann sind insbesondere die Ballfertigsten schon weg. Wir wissen alle um die demografische Katastrophe, die auf uns zukommt. Der Konkurrenzkampf aller Sportarten um die talentiertesten Kinder wird immer härter. Und wenn wir nicht schon zu einem frühen Zeitpunkt Basketball in die Herzen der Kinder pflanzen, wird es zu spät sein.

Sind das die Gedanken des Bundestrainers Bauermann?

Diese Gedanken würde ich mir so und so machen. Aber die gehören auch zum Anforderungsprofil als Bundestrainer. Es geht nicht nur darum, das Team fit zu kriegen für die nächste WM.

Welche Erwartungen haben Sie an die WM im August?

Wir wollen so lange wie möglich dabei sein. Uns hat das furchtbar viel Spaß gemacht, bei der EM aufs Treppchen zu steigen. Vielleicht gelingt es uns ja wieder, aber das ist eher ein Traum. Realistisch ist sicher, unter die ersten acht zu kommen.

Und Bamberg wird deutscher Meister?

Das ist das Ziel. Im Moment reden alle nur von Berlin und Bamberg. Aber Köln hat sich auch gut entwickelt. Einer von den dreien wird’s.