Hürdenlauf zur Urne

DOPPELPASS Deutsche, die auf Dauer im Ausland leben, mussten ihre Vertrautheit mit und Betroffenheit von Deutschland nachweisen, um wählen zu dürfen. Ein Beispiel aus Tunesien

VON RENATE FISSELER-SKANDRANI

Die Deutsche Elisabeth Krämer lebt seit 35 Jahren in Tunis. Sie hat an der tunesischen Universität unterrichtet und ist jetzt Rentnerin. Beide Töchter haben sowohl die deutsche als auch die tunesische Staatsangehörigkeit. Eine hat in Tunesien studiert und arbeitet dort als Lehrerin. Die zweite Tochter lebt seit dem Studium in Deutschland. Beide haben Kinder, die gerade volljährig sind. Beide sind an den politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen in Tunesien wie in Deutschland interessiert – regelmäßige Familienbesuche und bei Freunden sind Selbstverständlichkeiten in der Familie.

Elisabeth Krämer hat ein Bankkonto in Deutschland, bezieht auch eine kleine deutsche Rente. Bei den Bundestagswahlen am 22. September wollten sie und ihre Familie wählen. Die in München wohnende Tochter und ihr Sohn erhalten ihre Wahlbenachrichtigung per Post und haben sich am 22. September in das zuständige Wahllokal begeben. Die in Tunis lebenden Familienmitglieder haben erst mal Hürden zu überwinden: Elisabeth Krämer selbst fällt unter die 25-Jahre-Klausel, ihre Tochter und die 18-jährige Enkelin haben nach dem 14. Lebensjahr keine drei Monate ununterbrochen in Deutschland gelebt.

Eine „informierte Mitwirkung am politischen Willens- und Meinungsbildungsprozess in der Bundesrepublik Deutschland“ und „Einbindung in das demokratische Geschehen“ erscheint dem Gesetzgeber nach 25 Jahren Auslandsaufenthalt nach dem seit Mai gültigen Wahlrecht nicht mehr grundsätzlich gewährleistet. Gleiches gilt für den Fall, dass im Ausland lebende Deutsche nach Vollendung des 14. Lebensjahres keine drei Monate ununterbrochen in Deutschland gewohnt haben. In dieser Situation befinden sich vermutlich zahlreiche, im Ausland aufgewachsene Deutsche mit Binationalität und Doppelpass.

In beiden Fällen sind laut neuem Wahlgesetz „Tatsachen glaubhaft zu machen, die eine persönliche und unmittelbare Vertrautheit mit und Betroffenheit von den politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland belegen“. Auf der Seite „Der Bundeswahlleiter“ steht hingegen „eine rein passive Kommunikationsteilnahme, etwa durch den Konsum deutschsprachiger Medien im Ausland, genügt nicht“. Das Recht zu wählen wird dieser Gruppe erst aufgrund der erbrachten persönlichen Nachweise eingeräumt. Doch wie weist man Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen nach?

Deutsche Staatsbürger und ihre binationalen Kinder, auch wenn sie auf Dauer im Ausland leben, bleiben durchaus betroffen von den politischen Entscheidungen in Deutschland: weil sie ihren Lebensmittelpunkt möglicherweise vom Ausland wieder nach Deutschland verlegen, ihre Kinder in Deutschland studieren oder eine Ausbildung machen. Weil sie Eltern und Verwandte, Freunde haben, mit denen sie in kontinuierlichem Austausch stehen, aber vielleicht auch eine Rentenversicherung, ein Bankkonto, eine Steuernummer, eine Immobilie.

Wie viele deutsche Staatsangehörige in aller Welt leben, ist nicht erfasst, doch allein in der europäischen Union sind es 1,14 Millionen. Für die vorherige Bundestagswahl ließen sich 65.731 Menschen registrieren. Die Tatsache, dass Menschen sich dauerhaft zwei Ländern zugehörig fühlen, wird im neuen Wahlrecht nicht als selbstverständlich angenommen. Das im Wahlrecht für Auslandsdeutsche anklingende Verständnis von Staatsbürgerschaft ist ambivalent. Es ist kein Wahlrecht ohne Wenn und Aber, wie es beispielsweise die französischen und italienischen StaatsbürgerInnen kennen. Ganz gleich, ob sie in ihrem Herkunftsland oder anderswo auf Dauer ihren Lebensmittelpunkt haben – sie dürfen wählen.

■ Renate Fisseler-Skandrani ist Vorsitzende des Vereins deutscher Frauen in Tunesien AFART. Dieser setzt sich für die Interessen und Bürgerrechte deutsch-tunesischer Partnerschaften und Familien ein.