Freiheit für die Jungs

In Hamburg demonstrieren Fußballfans dagegen, pauschal als Kriminelle verdächtigt zu werden

Die Anwohner des Schanzenviertels reiben sich am Sonntagnachmittag verwundert die Augen. „Gegen die Hetze!“, schallt es aus der Demonstration, doch dann geht es weiter mit „Für mehr Fußballplätze“ – nicht mit „Für mehr Bauwagenplätze!“, wie man es im protesterprobten Stadtteil gewohnt ist.

Demonstrierende Fans, das kennt man nur vom FC St. Pauli, das hier aber sind die als unpolitisch geltenden HSV-Anhänger. Der Fall, der sie auf die Straße treibt, geht zurück auf eine Kneipenauseinandersetzung zwischen Bayern- und HSV-Fans im Januar 2005. Der Wirt schloss rechtzeitig die Tür ab, ein paar Sachen flogen durch die Fenster, und die Sache endete glimpflich mit 3.000 Euro Sachschaden. Elf Monate später, am 21. Dezember flatterten vier Hamburgern Haftbefehle ins Haus: Verdacht auf schweren Landfriedensbruch. Was die Polizisten vor Ort noch als Lappalie abgetan hatten, war in der Aufarbeitung durch die Staatsanwaltschaft München zu einem Hooligantreffen geraten.

„Freiheit für die Jungs“ lauteten die Transparente in den Stadien, mit denen die Fanszene bundesweit dagegen protestierten, dass zwei der Angeklagten monatelang in Untersuchungshaft schmorten – einer sitzt noch immer. „Es geht einfach darum, dass wir Rechte haben“, sagt Nils, 26 Jahre, der nach drei Monate in U-Haft zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden ist. Mit dem Vorwurf der Rädelsführerschaft – er hatte einen Bus für die Auswärtsfahrt angemietet – war die Staatsanwaltschaft nicht durchgekommen. Übertreibung, Pauschalisierung und Kriminalisierung: Aus Sicht der Demonstranten bietet der Fall all das, was heute typisch im Umgang von Staat und Polizei mit Fans ist. Den Zahlen zufolge sieht es so aus, als warteten tausende von gewaltgeilen Hooligans auf die WM: Der DFB hat rund 2.500 bundesweite Stadionverbote ausgesprochen – rund 300 mehr als vor sechs Monaten. Vollverschalte Einsatzkräfte begleiten Fans wie Schwerverbrecher zu den Stadien. Die bundesweite „Datei Gewalttäter Sport“ verzeichnet 7.500 Einträge.

In Wahrheit verbindet die so genannten Ultras mit den Hooligans zumeist nur der Style: Kurze Haare, dezente Schals, englische Markenklamotten, Kapuzenpulli vom faneigenen Label. Während die Ultras mit spektakulären Choreografien für die Stimmung sorgen, ist die Hooliganszene auf ein paar hundert Hobbyschläger geschrumpft, die sich abseits der Stadien verabredete Prügeleien liefern. „Es passt nicht mehr zusammen“, sagt Joachim Ranau, Leiter des HSV-Fanprojekts, und verweist auf sinkende Gewaltzahlen bei steigendem Sicherheitsaufwand. Die akzeptierende Jugendarbeit in den Fanprojekten hat die Gewalt auf ein Bruchteil dessen reduziert, was zuzeiten des „Samstagskriegs“ in den 80ern üblich war. Die Koordinationsstelle der Fanprojekte versucht, die Ordnungskräfte für die Fansicht zu sensibilisieren – mit wechselndem Erfolg. Die vom damaligen Innenminister Schily zugesagte Ombudsstelle für Fans hat Nachfolger Schäuble nicht weiter verfolgt. „Wir sind die Fans, wir sind die Fans, wir sind die Fans, die ihr nicht wollt!“ skandieren die 300 Protestierer im Schanzenviertel zur Melodie von „When the Saints Go Marchin’ In“. Dass man sie bei der WM am liebsten nicht dabei hätte, bremst ihren Kampfesmut nicht. „Es sind neue Aktionen geplant“, sagt Philipp Markhardt von der bundesweiten Fanvereinigung Pro Fans. „Notfalls auch an den Spielorten während der WM.“ CHRISTOPH TWICKEL