Die Kacke des Seins umgraben

INSTITUTIONALISIERUNG Der Anfang der taz bedeutete das Ende vieler linker Zeitungsprojekte zugunsten einer konzentrierten Gegenöffentlichkeit. Doch wie viel ist davon noch übrig?

Bei all dem ging die zunehmend angestrebte „Professionalität“ immer weniger in die Tiefe, sondern an die Oberfläche – zur „Aktualität“ hin, verbunden mit „Personalisierung“

VON HELMUT HÖGE

Als sich Anfang 1978 auf dem „Tunix-Kongress“ in der Berliner TU die bundesdeutsche Linke zu einer letzten Manöverkritik traf, wurde u. a. die Gründung einer „alternativen Tageszeitung“ vorgeschlagen und diskutiert. Damals gab es in fast jeder Stadt eine linke Wochenzeitung und darüber hinaus noch einige maoistische Parteiblätter sowie den „Informationsdienst für unterbliebene Nachrichten“ (ID).

Aus diesen Reihen kamen Gegenstimmen zu dem „taz-Projekt“: Sie bezweifelten zwar nicht, dass es den Staatsorganen gelungen war, in der durch die RAF ausgelösten Terrorangst und durch Fahndungsdruck die bürgerliche Presse quasi „gleichzuschalten“ und dass man kollektiv etwas dagegen tun müsste, die antiautoritäre Linke lehnte aber ein zentrales „Organ“ zur Gegenversammlung ab. Eine Befürchtung war – zu Recht, wie sich dann herausstellte –, dass all die dezentralen linken Medien dem neuen Zentralorgan zum Opfer fallen würden. Die Projektbefürworter ließen sich jedoch von den -ablehnern nicht bremsen. Gegen die Konzentrierung reaktionärer Kräfte half scheinbar nur eine ebenso konzentrierte „Gegenöffentlichkeit“.

Als die taz 1979 begann regelmäßig zu erscheinen, gründeten auch die undogmatischen Linken eine Politikzentrale: die Partei der Grünen. Zu ihren ersten Delegierten zählte Rudi Dutschke. In Berlin-Kreuzberg ist einer der wichtigsten taz-Gründer, Christian Ströbele, noch heute Abgeordneter dieser Partei, die inzwischen ebenso viele Wandlungen durchgemacht hat wie die taz. Während die Grünen und Umweltschützer dabei jedoch einen ganz konventionellen Naturbegriff ins Spiel brachten und bringen, ließ sich die taz – nicht zuletzt wegen ihrer publizistischen Orientierung an der linken Pariser Tageszeitung Libération (1973 u. a. von Jean-Paul Sartre gegründet) – immer wieder von französischen Theoretikern beeinflussen und veröffentlichte ihre Texte. Genannt seien Foucault, Deleuze, Guattari (alle drei waren zum „Tunix-Kongress“ eingeladen worden).

Deleuze beschäftigte sich, wie die taz, mit Minderheiten und schrieb: „Nur Minderheiten sind produktiv.“ Dabei geht es nicht darum, eine Mehrheit zu werden, sondern eine Differenz zu eröffnen. „Jeder ist eine Minderheit!“ 1977 hatte der Libidoökonom Jean-François Lyotard bereits von einem „Patchwork der Minderheiten“ gesprochen und eine Metapher für die damals im Heraus- und Zusammenkommen begriffenen Bewegung von Schwulen/Lesben, Indianern, Behinderten, Nekrophilen, Irren, Pädophilen, Prostituierten usw. geliefert. Die taz „sammelte“ diese weltweit aufbegehrenden Minderheiten schon fast systematisch – bis hin zu den Inhaftierten: Es gab mal eine Justizredaktion dafür und bis heute eine „Knacki-Beauftragte“. Im Übrigen war die taz kurzzeitig ein „Sprachrohr“ der Pädophilen und sammelte „Waffen für El Salvador“-Spenden – beides gilt heute als schwer verwerflich, auch in der taz.

Anfänglich arbeiteten ausschließlich politisch Denkende in der taz; deswegen gab es zunächst auch keine Wirtschaftsredaktion, weil, so wurde gesagt, jeder Artikel dem Marxismus verpflichtet sein müsse.

Spätestens seit dem Verschwinden der Volksbefreiungsbewegungen, der Staatssozialismen und der Arbeiterklasse werden jedoch mehr und mehr journalistisch Ausgebildete bzw. Auszubildende eingestellt. Und statt weiter die Produktionsverhältnisse zu kritisieren, fand ein Wechsel zum „kritischen Konsum“ statt. Aber auch die „Kultur“ beschäftigt sich fast nur noch mit Waren: Film, Buch, Theater, Musik, Kunst.

Bei alldem ging die zunehmend angestrebte „Professionalität“ immer weniger in die Tiefe, sondern an die Oberfläche – zur „Aktualität“ hin (verbunden mit „Personalisierung“ und „Redundanz“). Manchmal kann man geradezu von einem „Aktualitätswahn“ sprechen, der von den selbst auferlegten „Formatzwängen“ noch verstärkt wird. Dass die „dreikäsetaz“ hier befreiend wirken möge – wäre eine schöner „taz-traum“ (Fritz Teufel – der gerade im Sterben liegt).

Ich befürchte jedoch, dass es eher um Arbeitsplatzerhaltung geht – und das um jeden Preis. Zumal wir immer noch in extrem restaurativen Zeiten leben.