Unbemannt durch endlose Weiten

ENTWICKLUNG Digitale Zugsteuerelemente erhöhen die Sicherheit und senken den Verbrauch – die komplizierte Logistik der Güterzüge kommt im 21. Jahrhundert an

VON LUTZ DEBUS

Wenn ein moderner Mittelklassewagen an einer Bahnschranke steht und ein Güterzug vorbeirattert, begegnen sich zwei Welten. Während Autos inzwischen rollende Computer sind, wird bei der Bahn im Güterverkehr oft noch Technik aus dem letzten Jahrtausend verwendet. Im Führerstand einer Lokomotive sieht es noch immer fast so aus wie bei Jim Knopf und Lukas. Schwere Schalter und Hebel aus Eisen und Bakelit. Diese Epoche aber neigt sich dem Ende. Der Lokführer, einst Traumjob aller kleinen Jungs, wird in Zukunft zunehmend durch IT-Fachleute verdrängt.

Wie so oft bei technischen Revolutionen begann die Entwicklung des digital gesteuerten Güterzuges in den USA. Zunächst ging es darum, Unfälle zu vermeiden. Besonders die Strecken in den Rocky Mountains bergen große Risiken. Hier werden Züge mit sechs schweren Diesellokomotiven eingesetzt, jeweils zwei vorne, zwei in der Mitte und zwei am Ende des Zuges. Während das Vorderteil ein Gefälle vor sich hat, muss das Ende des Güterzuges noch eine Steigung bewältigen. Wenn ein Zug durch solch auftretende Kräfte gestaucht oder gedehnt wird, kann er in Kurven leicht entgleisen. Um dies zu verhindern, entwickelte man ein digitales System, das die sechs Antriebsaggregate koordiniert steuert. Als durchaus erwünschte Nebenwirkung konnte durch die neue Technik bis zu fünf Prozent Treibstoff eingespart werden.

Aber auch im Flachland können die Kräfte, die zwischen den Waggons herrschen, die Fahrsicherheit beeinträchtigen. Züge wurden bislang durch eine Luftdruckleitung gebremst. Die Informationsgeschwindigkeit entspricht hierbei annähernd der Schallgeschwindigkeit. Der letzte Waggon eines Zuges, der 1,5 Kilometer lang ist, wird demnach etwa fünf Sekunden später gebremst als die Lokomotive. Dadurch wird der Zug zusammengeschoben und es entsteht ein Ziehharmonika-Effekt. In scharfen Kurven kann es so ebenfalls zu Entgleisungen kommen.

Um dies zu vermeiden, wurden elektrisch gesteuerte Bremssysteme entwickelt. Diese sind in den USA inzwischen Standard. In Europa allerdings fahren nur wenige Güterzüge mit elektrisch gesteuerter Bremsung. „Die Wagen sind stark durchmischt, es gibt immer alte Waggons. Man müsste die Technik in ganz Europa einführen. Das mag aber noch dauern“, so ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn.

In Nordamerika hat man infolge der Digitalisierung der Zugsteuerung schon vor Jahren erkannt, dass Güterzüge mithilfe intelligenter Fahrleitsysteme erheblich weniger Energie benötigen. Sowohl der Konzern General Electric als auch die amerikanische Tochter des Münchner Unternehmens Knorr Bremse entwickelten Hard- und Software, die die ökologischste Fahrweise dem Lokführer vorschlägt oder gar vorschreibt. Vor dem Erreichen einer Bergkuppe zum Beispiel wird schon frühzeitig die Motorleistung zurückgenommen. Auch ist eine Vollbremsung vor einem roten Signal dank der neuen Technik nicht mehr nötig. Alle relevanten Daten werden in dem Bordcomputer eingespeist, um so wenig Energie wie möglich verbrauchen zu müssen. Die Zeitschrift The Economist berichtet, dass die US-Bahngesellschaft Norfork Southern bereits in jedem sechsten Zug ein solches Optimierungssystem eingebaut hat. Bis 2016 werde die Hälfte der Güterzüge mit dieser Technik ausgerüstet sein.

In Europa und besonders in Deutschland ist die Situation nicht mit der in den USA zu vergleichen. Das dichte Schienennetz hier wird stark genutzt. Ohne die Einbindung der Daten aller im näheren Umkreis fahrenden Züge könnte ein Computerprogramm kein optimales Fahrverhalten errechnen. Es geht den Ingenieuren von Knorr-Bremse, die ein entsprechendes System für den europäischen Markt entwickeln, neben einer energiesparenden Fahrweise vor allem darum, zu vermeiden, dass ein Güterzug auf seiner Route unnötig anhalten muss.

Gerade das Anfahren verbrauche viel Energie, viel mehr, als man durch umsichtiges Fahren sparen könne, so Manfred Walter von Knorr-Bremse. In naher Zukunft werden daher die ersten Güterzüge hierzulande mit einer computergestützten Fahrhilfe ausgestattet sein. Den Lokführer werde die Technik unterstützen, aber nicht ersetzen, betont Manfred Walter.

Anders ist die Situation im Nordwesten von Australien. Dort verkehrt auf einer etwa 1.000 Kilometer langen Strecke zwischen dem Erzabbaugebiet Rio Tinto und dem nächsten Seehafen ein Güterzug, der dank der neuartigen Technik ohne Lokführer auskommt. Gefährlich ist der Zug, der durch menschenleeres Gebiet fährt, angeblich nur für Schlangen und Kängurus.