Außen kalt, innen Jesus

Schwefeldampf und religiöse Erbauung: Auch traditionelle Ostereier stellen sich manchmal als Überraschungseier heraus. Eine Ausstellung im niedersächsischen Rinteln zeigt, wieso

Von CORNELIA KURTH

„Ich sammle nicht irgendwelche Eier – ich sammle Ostereier!“ Darauf legt Barbara Kruhöffer großen Wert. Die 61-jährige Pastorenfrau aus dem niedersächsischen Loccum besitzt eine der größten deutschen Sammlungen kunstvoll verzierter Eier, Pardon: Ostereier. Weit über 2.000 davon – nur ein kleiner Ausschnitt aus ihren Beständen – zeigt sie zurzeit im Museum der Nachbarstadt Rinteln an der Weser. Eine Woche hat es gedauert, bis sie alles so aufgebaut hatte, dass daraus ein Spaziergang durch die Geschichte des Ostereis und seiner Verzierungskunst entstand.

Ein sehr passender Zeitraum. Schließlich beginnt auch die Osterzeit bereits eine Woche vor Ostersonntag, mit der Passionszeit und der Leidensgeschichte Jesu Christi. „Ohne die Passionszeit gibt es kein Ostern“, erläutert Barbara Kruhöffer, „und Ostereier wären ohne ihre christliche Bedeutung nichts als eine nette Spielerei.“ Bunte Eier halt. Die Vorgeschichte des Osterfests wird in der Ausstellung allerdings nicht mit Eiern erzählt: Holzschnitzereien vor allem aus Polen zeigen den Gottessohn, wie er zum Passahfest in Jerusalem einzieht, wie er, in der Figur des „Betrübten Jesus“, von allen Jüngern verlassen im Garten Gethsemane betet, und schließlich, wie er gemartert am Holzkreuz hängt, das umschlungen wird von der weinenden Mutter Maria. Die Stunde des Ostereis schlägt erst mit der Auferstehung.

Viele Besucher, speziell in Norddeutschland, wissen aber oft gar nicht, dass Ostereier nicht nur ein allgemeines Frühlings- und Fruchtbarkeitssymbol darstellen, sondern bereits den frühen Christen die Auferstehung Jesu symbolisierten: Das Ei mit seiner kalten, harten Schale steht für das Grab Jesu, das ja nur scheinbar ein Grab ist, denn das Leben ersteht aus ihm auf, wie das Küken aus dem Ei herausbricht. Die katholische Kirche segnet Ostereier, und in der orthodoxen Kirche Griechenlands ist es üblich, dass die Gottesdienstbesucher am Ostermorgen rot gefärbte, hart gekochte Eier aneinander schlagen und rufen: „Er ist auferstanden!“

In der Ausstellung sind Fotos von uralten Weiblein zu sehen, wie sie, gekleidet in Schürzen mit gekreuzten Trägern, um einen Tisch herumsitzen, in der Mitte eine Schale mit erhitztem Wachs, das zum Batiken der Eier benutzt wird. In ihren abgearbeiteten Händen halten sie fein zurechtgeschnittene Gänsefedern oder auch Stecknadeln und tropfen das Wachs zu zarten Mustern auf die Schale.

Solche Batik-Eier, deren Muster dadurch entstehen, dass das aufgetupfte Wachs nach dem Färben wieder entfernt wird, stammen vor allem aus Osteuropa. Versierte Sammlerinnen wie Barbara Kruhöffer haben nicht das geringste Problem damit, zu unterscheiden, ob ein Ei aus Serbien kommt oder aus Tschechien, aus Rumänien, Ungarn, Slowenien oder Polen, aus dem ehemaligen Schlesien, aus Ostpreußen oder der Oberlausitz. Die Muster und Farben finden sich oft auch in den Trachten oder der Bauernmalerei wieder.

Umso absurder erscheint es ihr, dass manche Eierkäufer, die seit Jahrzehnten über die Dörfer Osteuropas fahren, um verzierte Eier für die Ostereiermessen in Deutschland oder Holland einzukaufen, zwar die Nachfrage steigern, gleichzeitig aber auch den Erhalt der traditionellen Volkskunst gefährden. Sie versprechen den Familien, in denen über Generationen Eier bemalt werden, noch mehr Eier zu kaufen, wenn sie sich ein bisschen mehr nach westlichem Käufergeschmack richten. Innerhalb kürzester Zeit können so uralte Muster und Symbole für immer verschwinden.

Zu diesen Veränderungen gehört auch, dass die Ostereier vermehrt ausgepustet werden, bevor man ihre Schale batikt, mit Sauerkrautsaft ätzt, mit Nadeln kratzt, sie bemalt oder auch mit Mustern aus winzigen Strohteilchen verziert. Das war keineswegs immer so. Ursprünglich wurden die Eier noch nicht einmal gekocht, sondern roh belassen, mit allem Inhalt. Wenn alles gut ging, vertrockneten Eiweiß und Eigelb langsam durch die Schale hindurch. Manchmal aber – Barbara Kruhöffer weiß das aus leidvoller Erfahrung nur zu gut –, manchmal explodiert so ein altes rohes Ei. Dann liegen an seiner Stelle im großen Sammlerschrank nur noch ein paar Schalen herum, und ein penetranter Schwefelgeruch will sich nur langsam verziehen.

Aber auch die später dann zur besseren Konservierung hart gekochten Eier haben so ihre Tücken. Das Eigelb wird allmählich hart wie Bernstein. Oft klebt es innen an der Schale fest, und das Ei kippt immer wieder um, leider meistens gerade auf die schönere Seite. Und manchmal klappert das steinharte Eigelb lose im Innern herum, und diese „Klappereier“ haben das gefährlichste Leben. „Was meinen Sie, wie oft Leute ein Ei einfach in die Hand nehmen und sagen: ‚Oh, das klappert ja!‘ “ Puff, ist es in den Händen explodiert und hinterlässt nichts weiter als wieder diesen scheußlichen Stinkbombenmief.

Um der Symbolik und der Tradition willen möchte die Sammlerin trotzdem lieber Eier haben, denen das „Leben“ nicht ausgeblasen wurde. Allenfalls ist sie bereit, die besonders gefährdeten „Klappereier“ vorsichtig mit feinem Sand aufzufüllen (nicht mit Wachs, denn das fettet mit der Zeit durch), für den sie im Innern Platz schafft, indem sie die unschönen Gase durch ein in die Schale gebohrtes Löchlein entweichen lässt.

Rot waren die ersten Ostereier, weil Rot sowohl die Farbe des Opfers ist als auch die Königsfarbe des Sieges über den Tod. Frau Kruhöffers Sammlung aber zeigt Eier in allen nur denkbaren Farben, und viele von ihnen sind mit ganzen Szenerien aus der Ostergeschichte bemalt. Die seitlich aufgeschnittenen so genannten Eingericht-Eier aus Bayern enthalten Figürchen, die sogar die Weihnachtsgeschichte nachstellen. Es gibt Eier, die in einem Kleid aus kleinen, bunten Perlen stecken, und solche, die mit Seide bezogen wurden. Manche Eier sind mit Mustern verziert, die entstanden, weil man sie auf einen Ameisenhaufen gelegt hat, wo sie von ätzenden Säften angegriffen wurden, andere tragen Kreuze aus Eisen, die ihnen ein ungarischer Künstler verpasste. Ein uraltes Gänseei ist dabei, das enthält ein Spruchband, fünf Meter lang, beschrieben mit dem gesamten Matthäus-Evangelium. Das Spruchband ist im Innern auf einem Stab aufgerollt und kommt aus einem schmalen Schlitz heraus, wenn man nur an der Kurbel dreht.

Und obwohl richtige Ostereier natürlich echte Vogeleier sein müssen (in Kruhöffers Sammlung gibt es auch jede Menge riesige Straußeneier und winzige Singvogeleier), kann eine leidenschaftliche Sammlerin wohl doch nicht an all dem Kitsch und kunstvollen Nippes vorbeigehen, der in fast aller Welt als Osterei unter die Leute gebracht wird und immerhin auch so seine Geheimnisse enthält: Specksteineier, in denen geschnitzte Vögel wie in einem Käfig sitzen; englische Porzellaneier, die kostbare Schätze, und Blecheier aus dem Automaten, die kleine Süßigkeiten enthalten können; aufklappbare Eier aus Zinn, aus Wachs, aus Glas (in China gern auch hinterglasbemalt) oder aus Pappe.

Nicht zu vergessen das überall in der Welt beliebte und ganzjährig erhältliche „Überraschungsei“ mit seinem Schnickschnack-Inhalt. All dieser Nippes indes wird für Barbara Kruhöffer immer und unabänderlich noch dem einfachsten selbst bemalten Hühnerei unterlegen sein. „In jedem Ei, das ein Mensch verziert hat, sei es ein Kind oder ein Künstler, steckt die Vorfreude auf das Osterfest“, sagt sie. „Die Zeit, die man sich nimmt, um es zu bemalen, die Gedanken an die Freunde, denen man es schenken wird, das meditative Tun in den Tagen vor Ostern – all das gehört zum wahren Osterei dazu!“ Niemals würde sie ein verziertes Ei vor dem Morgen des Ostersonntags am traditionellen Birkenstrauß aufhängen. „Dann wäre es für mich kein Osterei mehr!“, sagt sie. Hängen bleiben darf es dann aber noch ganze vierzig Tage. Die Osterzeit geht nämlich erst mit Christi Himmelfahrt zu Ende.

CORNELIA KURTH, geboren 1960, ist freie Autorin und lebt in Rinteln. Die Ausstellung läuft noch bis zum 23. April im Museum Eulenburg