„Die Mafia ist ein Stück Scheiße!“

SIZILIEN Der Lokaljournalist Pino Maniaci berichtet über die Cosa Nostra. Dazu hat er einen eigenen Fernsehsender gegründet

VON EMILIA SMECHOWSKI

Wenn Pino Maniaci einen Espresso trinken geht, bestellt er immer gleich drei. Einen für sich und zwei für die Carabinieri an seiner Seite. Mit seinem schlaksigen Körper in dem zu großen dunklen Anzug, der roten gepunkteten Krawatte und dem Schnauzbart könnte man ihn auch für einen Komiker halten. Doch Pino, 57, ist Journalist. Er macht Lokalfernsehen. In Sizilien. Und steht rund um die Uhr unter Polizeischutz.

Später, am Nachmittag, wird er in demselben dunklen Anzug auf Sendung gehen: Live-Nachrichten, zwei Stunden lang. So wie jeden Tag, sieben Tage die Woche. Der Sender Telejato ist ein Familienbetrieb, in dem seine Frau und zwei seiner Kinder mitarbeiten und der durch Spenden und drei Werbeminuten pro Stunde finanziert wird. Doch was kann es in Partinico, diesem pittoresken Städtchen unweit von Palermo, zu berichten geben, das die „längsten Nachrichten der Welt“ erfordert, wie er sie selbst nennt? Die Eröffnung einer neuen Bäckerei und den runden Geburtstag des Bürgermeisters erwähnt Pino nur am Rande. Er verfolgt ein anderes Ziel: den Kampf gegen die Mafia. Schutzgelderpressungen, zweifelhafte Baugenehmigungen und Wirtschaftsskandale – die sizilianische Mafia Cosa Nostra sei überall, sagt Pino, vor allem hier, im „Bermudadreieck der Mafia“: Corleone, Partinico, Cinisi.

Es klingelt. Pino greift in seine Jackentaschen und holt fünf Handys heraus. Die Klingeltöne kann er bis heute nicht auseinanderhalten. „So kann ich meinen Informanten unterschiedliche Nummern geben, das ist sicherer für mich“, sagt er leise. Der Anrufer will Polizisten mit Drogenhunden in der Stadt gesehen haben. Plötzlich verfällt Pino in sizilianischen Dialekt, nuschelt mit seiner tiefen Raucherstimme so stark, dass man ihm ganz nah kommen muss, um noch etwas zu verstehen. Eine Drogenrazzia also. Bei wem, weiß er noch nicht. Er ruft seine Tochter Letizia zu sich, die beiden fahren in getrennten Autos los. Auf den Rücksitzen liegen ihre bereits ausgepackten Kameras.

Die Mission: Addio Cosa Nostra

Wenn etwas passiert, ist es häufig Pino, den die Menschen in der Gegend zuerst anrufen – vor der Polizei. Er bekommt Informationen aus erster Hand, filmt und schneidet daraus seine Beiträge. Seine Sendung wird von 180.000 Zuschauern in 25 Gemeinden rund um Palermo verfolgt. Sie haben gelernt, ihm zu vertrauen und ihre Beobachtungen zu formulieren. Eine Seltenheit in einer Region, in der das Schweigen zum Dialekt zu gehören scheint. „Früher wollte nie jemand etwas gesehen oder gehört haben“, erzählt Pino. Beispielsweise wenn ein Auto gebrannt hat, weil der Besitzer keinen Pizzo, Schutzgeld, an die Mafia, zahlen wollte. In Partinico zahlen mittlerweile nur noch 10 Prozent aller Geschäftsinhaber den Pizzo. In Sizilien sind es im Durchschnitt 70 Prozent.

Pino und Letizia haben die Stadt bereits zweimal durchfahren. Von Drogenhunden keine Spur. Über das Handy hält die 25-Jährige mit ihrem Vater ständig Kontakt. „Via Colombo“, heißt es beim nächsten Anruf. Letizia rast durch die engen Straßen zum Treffpunkt, ihr Auto parkt sie in sicherem Abstand zum Polizeiwagen. Die Beamten öffnen gerade die Hintertür, befreien zwei Schäferhunde aus ihren Käfigen und steuern mit ihnen ein weiß getünchtes Haus an. Die Hunde schnüffeln. Letizia filmt die Szene mit ihrer Kamera. Pino, der aus dem Nichts aufgetaucht ist, wagt sich etwas näher heran.

In knapp zwei Stunden, während seiner Sendung, wird er die Bilder kommentieren. Er wird Namen nennen und erklären, dass der Drogenhandel neben der Schutzgelderpressung eine der Haupteinnahmequellen der Mafia sei. Pino, der früher erfolgloser Bauunternehmer war, bezeichnet sich nicht als professionellen Journalisten. „Meine Arbeit ist für mich eine Mission, kein Handwerk“, erklärt er im Auto auf dem Weg zum Sender. Die Mission lautet: Addio Cosa Nostra.

Doch es sind immer noch wenige in Italien, die sich trauen, öffentlich die Mafia zu attackieren, auch unter den Journalisten. Die, die es tun, werden gefeiert. Als Helden, wenn sie leben. Als Märtyrer, wenn sie tot sind. Pino kann die Preise, die er für unabhängigen Journalismus bekommen hat, nicht mehr zählen. Allein in diesem Monat fährt er zu zwei Verleihungen.

Doch für den Anti-Mafia-Kampf braucht es mehr als ein paar Mutige. „Der Staat erzeugt viel zu wenig Druck, weil er teilweise selbst in der Cosa Nostra versumpft.“ Immer wieder kommen in Italien Verstrickungen zwischen Politik und Mafia ans Licht. Die Politiker garantieren den Mafiosi juristische Hilfe bei Gerichtsverfahren im Tausch gegen Wählerstimmen: Eine Win-win-Situation. In diesen Tagen wird Raffaele Lombardo, kein Geringerer als der Präsident der Region Sizilien, wegen vermeintlicher Beziehungen zu einem Mafiaboss verhört.

Ein abgefackeltes Auto und Drohbriefe

„Trotzdem, auch kleine Flammen können ein Feuer zünden“, sagt Pino. Er will und wird sich nie an diesen korrupten Staat gewöhnen, erzählt er weiter, man kann spüren, wie die Wut in ihm aufsteigt. Pino zieht an seiner Zigarette und reißt das Lenkrad herum. „I mafiosi sono pezzi di merda!“ – die Mafia, ein Stück Scheiße. Solche klaren Worte bleiben nicht folgenlos. Ein Auto vom Sender wurde bereits abgefackelt, der Sprössling eines Mafiabosses hat versucht, Pino zu erwürgen, Drohbriefe bekommt er täglich. Bisher blieb es bei Einschüchterungsversuchen. „Klar habe ich Angst, vor allem um meine Familie“, sagt Pino. „Das ist auch gut so, denn die Angst macht mich vorsichtiger.“ Und doch versucht er, auf den Polizeischutz so oft wie möglich zu verzichten. Ein Widerspruch? „Wer überall mit Carabinieri an der Seite auftaucht, macht sich angreifbarer“, glaubt er. Und verliere Informanten. Niemand würde ihm brisante Neuigkeiten verraten, wenn die Polizei daneben steht und lauscht.

Dass Pino noch am Leben ist, hat er aber nicht nur dem Schutz durch die Carabinieri zu verdanken. Auch die Berichterstattung auf Telejato hat bisher dafür gesorgt, dass die Mafia nicht über Drohungen hinausgegangen ist. Denn mediale Aufmerksamkeit meidet sie, so gut sie kann. Erst recht, seitdem sie gelernt hat, dass jeder tote Richter oder Journalist den Antimafiakampf neu entfacht. Die Mafia will nur eins: in Ruhe ihren Geschäften nachgehen. Eine Ruhe, die Pino jeden Tag stört. „Ich weiß, auf welchem schmalen Grat ich mich da bewege“, sagt er und schaut schnell zur anderen Seite. Es wird der einzige Moment bleiben, in dem seine Angst spürbar wird.

Im Fernsehstudio, einer umgebauten Dreizimmerwohnung, ist Letizia dabei, die letzten Beiträge zu schneiden. Jetzt muss es schnell gehen, die Stimmung ist angespannt. Dann, um 14.20 Uhr, dreht sie die Regler hoch, der Jingle von Telejato Notizie läuft. „Silenzio!“ Pino Maniaci räuspert sich, neigt den Kopf etwas nach unten und blickt über den Brillenrand nach vorn, direkt in die Kamera.