Aus Evo Morales’ Rippe wird keine Eva entstehen

In Lateinamerika ist das Verhältnis von emanzipatorischen sozialen Bewegungen und traditionellen politischen Eliten von Spaltungen und Ausschlüssen geprägt. Die Bewegungen einigt vor allem die Ablehnung des Neoliberalismus. Ein den Kontinent umspannendes linkes Projekt fehlt

WIEN taz ■ Für das Ur-Dilemma emanzipatorischer sozialer Bewegungen gibt es auch in Lateinamerika keine einfachen Auswege: Kämpft man angesichts einer starken Rechten mit den – dann schon nicht mehr ganz so – linken Regierungen oder gegen sie? Angesichts der Wahlerfolge linker PräsidentschaftskandidatInnen stellt sich diese Frage jetzt immer wieder neu. „Wir haben jede Schlacht verloren“, bilanziert Jorge Martin vom brasilianischen Gewerkschaftsverband CUT den Versuch, eine wirkliche Linkswende in der Regierungspolitik zu vollziehen. Zu stark ist der Druck des Internationalen Währungsfonds. Und zu tragfähig auch der Pakt, den die Regierung des einstigen linken Hoffnungsträgers Lucio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT) mit den neoliberalen Eliten einging. Eine Rückkehr zur Import substituierenden Industrialisierung scheint nicht möglich, nationale Alleingänge ausgeschlossen.

Die Gegnerschaft zum Neoliberalismus ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner der Bewegungen, die seit Mitte der 1990er-Jahre die Gesellschaften Lateinamerikas prägen. Dennoch sind transnationale Ansätze rar. Sie entzünden sich einerseits an neoliberalen Großprojekten wie dem Gesamtamerikanischen Freihandelsabkommen (ALCA) und dem Plan Puebla Panama (PPP).

Andererseits weisen aber auch so unterschiedliche Bewegungen wie die Zapatistas oder die „Bolivarianische Revolution“ über nationalstaatliche Grenzen hinaus. Schon der Bezug auf Simón Bolivar (1783–1830) macht den gesamtlateinamerikanischen Anspruch deutlich, den die von Venezuelas Präsident Hugo Chávez angeführte Bewegung vertritt. Und die Zapatistas proklamierten schon früh, dass sie keine herkömmliche nationale Befreiungsbewegung sind.

Zwar war der Kampf gegen eine korrupte herrschende Klasse, die das neoliberale Modell vertrat, sowohl Ansatzpunkt der zapatistischen Guerilla wie auch des Bolivarianischen Projekts. Die Trägerschichten und Kampfformen allerdings unterscheiden sich gewaltig. Und damit auch der Bezug zur Regierungsebene: Wird der zapatistische Aufstand vor allem von indigenen Bevölkerungsgruppen getragen und von einer Guerilla angeführt, sind es in Venezuela die städtischen Unterschichten, die sich in Basiskomitees mobilisieren. Während die venezolanische Bewegung, bekämpft von den mächtigen privaten Medien und der rechten Opposition, ihre Macht staatlich absichert, setzt der zapatistische Prozess auf die Organisation autonomer Landkreise und basisdemokratische Dauermobilisierung.

Auch gegenüber Mexikos aussichtsreichem Präsidentschaftskandidaten der sozialdemokratischen PRD, Andrés Manuel López Obrador, bleiben die Zapatistas auf Distanz. Sie haben ihren AnhängerInnen die Wahl von López Obrador freigestellt. Mit ihrer „Anderen Kampagne“ setzen sie aber klar auf libertäre Selbstorganisation statt auf die Eroberung der Staatsmacht.

Weder die eine noch die andere Strategie bewahrt allerdings die Bewegung vor Ausschlüssen. Mit dem Erfolg des indigenen Ex-Gewerkschafters Evo Morales bei den Wahlen in Bolivien im Dezember 2005 bekam die Vorherrschaft der weißen Oligarchie erstmals entscheidende Risse. Vizepräsident Alvaro García Linera erklärte, auf die weiße Hegemonie solle nun nicht die der Indigenen folgen. Diese machen in Bolivien 70 Prozent der Bevölkerung aus. Stattdessen beschwor er die Verknüpfung von „Poncho und Krawatte“. Mag diese Metapher Großgrundbesitzer, ausländische Investoren und weißes Establishment beruhigen, kündigt sie doch einen wichtigen Ausschluss an. So kritisiert Maria Galindo von der Frauenorganisation „Mujeres Creando“ die „Banalisierung der Präsenz von Frauen“ innerhalb der Linken. In Morales’ Wahlkampf und Partei spielten Frauen bloß eine marginale Rolle. Aus der Rippe von Evo, resümiert Galindo bitter, wird wohl keine Eva entstehen. JENS KASTNER