Goodbye, Länderfinanzausgleich

FERNSEHEN Wahre Kreativität kommt aus Vegesack: Jan Böhmermann hat eine Bremen-Dokumentation gedreht, die selbst für altgediente BremerInnen völlig neue Blickwinkel auf die Hansestadt eröffnet

Bei Henning Scherf kann der Zuschauer nicht sicher sein: Was weiß der Ex-Bürgermeister wirklich? Wird er vorgeführt? Oder ist er in einer selbst gewählten Rolle als Lügenbaron dabei?

Wenn die ARD am Wochenende einen Deutschland-Film nach dem anderen zeigt, muss man als Zuschauer nicht unbedingt ununterbrochen dabei sein. Am Sonntag um 17.30 Uhr allerdings ist es an Radio Bremen, seinen Beitrag zur Nationalfeiertags-inspirierten Serie „16 x Deutschland“ zu zeigen. Und da können selbst altgediente BremerInnen entscheidend Neues über ihr Bundesland erfahren.

Denn: In einer „gewissenhaft recherchierten Spurensuche“, wie Radio Bremen mitteilt, hat der bekannte Fernseh-Journalist Jan Böhmermann ein Porträt seiner Heimatstadt angefertigt, das einen konsequent-persönlichen Zugang mit unerbittlicher Investigation paart. Seine Themen: Warum ist Bremen trotz seiner Verschuldung noch selbstständig? Und was verbirgt sich im dicken Bauch des Ziegel-Elefanten, der hinter dem Hauptbahnhof steht?

Böhmermanns Spurensuche beginnt in der guten Stube seiner Großmutter, die den Journalisten auf die Hinterlassenschaft eines seefahrenden Vorfahren verweist. Tatsächlich findet Böhmermann auf dem Dachboden einer Lilienthaler Scheune Dokumente, die mit dem Bau des 1931 als Reichskolonialdenkmal eingeweihten Elefanten zusammenhängen – Glück muss man haben.

Durch Recherchen im Staatsarchiv wird klar, dass der alte Böhmernann in die Kolonialgeschäfte verwickelt war, die der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz im späteren Deutsch-Südwest in Gang gebracht hatte. Aber: Ging es bei denen nicht letztlich um Diamanten – die in der Gegend des heute namibischen Städtchens Lüderitz in bemerkenswerter Menge abgebaut wurden? Hartmut Roder, der von Böhmermann befragte Handelskunde-Experte des Übeseemuseums bestätigt, dass diese „Blutdiamanten“-Spur nicht unbedingt ein Holzweg sein muss.

Manchmal wird der historischen Forschung eben auch durch engagierte Laien aufgeholfen. Und Böhmermann, bekannt durch seine sonntägliche Unterhaltungssendung mit Charlotte Roche und als früherer Sidekick der Harald Schmidt-Show, in Gröpelingen geboren und in Vegesack aufgewachsen, beweist in seinem sorgfältig recherchierten Beitrag beste Mockumentary-Qualitäten. Den Regeln des Genres folgend nutzt er gut gesetzte Credibility-Anker und echte Experten wie Hartmut Roder.

Nur bei Henning Scherf, als langjähriger Regierungschef zu möglicherweise im Inneren des Elefanten verborgenen Diamanten befragt, kann der informierte Zuschauer nicht sicher sein: Was weiß der Ex-Bürgermeister wirklich? Wird er vorgeführt? Oder ist er in einer selbst gewählten Rolle als Lügenbaron dabei? In dieser Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten liegt ein besonderer Reiz von Böhmermanns Beitrag. Auch die Bremer Polizei ist im Übrigen gut dabei, indem sie die Dreharbeiten nach Kräften behindert – bis hin zum Verbot, sich mit Kamera dem Elefanten zu nähern.

Rund eine Million Zuschauer werden die Mockumentary am Sonntag sehen – und nicht nur RTL-Seher, die sich versehentlich ins ARD-Programm verirren, werden den Bauch des Elefanten nun einer näheren Untersuchung unterziehen wollen – und die Kündigung des Länderfinanzausgleichs als geeignete Konsequenz ansehen. „Das müssen wir dann in Kauf nehmen“, sagt Radio Bremen-Fernsehchef Thomas von Bötticher auf Nachfrage. Seine Anstalt würde es als erste treffen.  HENNING BLEYL