Vom Maximum ins Machbare

MEDIATION Ein Thema beim dritten Hamburger Mediationstag am 16. Oktober wird auch die künftige Ausbildung zum zertifizierten Mediator sein. Die setzt eine Ausbildungsdauer von 120 Stunden voraus – zu wenig, finden die drei großen Bundesverbände

VON CARSTEN BISPING

Ulrike Donat weiß, wie Menschen in Streit-Situationen ticken: „Wenn ich vom Konflikt betroffen bin, dann benehme ich mich wie ein drei- bis achtjähriges Kind. Ich sehe dann nur meine Wirklichkeit, und je ärgerlicher ich bin, desto mehr blende ich aus.“ Donat ist Vorsitzende der Mediationszentrale Hamburg und mediiert unter anderem Scheidungsfälle: „Wir versuchen, die Hubschrauberperspektive einzunehmen und von Maximalforderungen ins Machbare zu vermitteln.“

Von Nachbarschaftsstreitigkeiten bis hin zu Auseinandersetzungen zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung: Immer mehr Streitparteien nehmen bei dem Versuch, ihren Konflikt beizulegen, Mediatoren in Anspruch, also Vermittler. Mehr als die Hälfte der Deutschen kennt mittlerweile den Begriff Mediation. Die ist kein verlängerter Arm des Gerichts, sondern eine „richtige Alternative“, sagt Donat. Sie sei weniger beschämend, oftmals zügiger und vor allem wirke sie langfristiger, da sie auf Freiwilligkeit beruhe. „Wie kriege ich die Kontrahenten dahin, dass sie auch die Perspektive des jeweils anderen wahrnehmen?“ Das ist laut Donat die entscheidende Frage bei der Mediation: „Ich rede solange mit ihnen, bis es ‚klick‘ macht.“

Anders als bei der Streitschlichtung müssen die Streitparteien bei der Mediation selbst eine Lösung finden. Heiner Geißler beispielsweise war Streitschlichter zwischen Gegnern und Befürwortern von Stuttgart 21; er schlug als Dritter eine eigene Lösung vor. Das unterscheidet ihn vom klassischen Mediator. Mediation, das ist „ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“, heißt es im ersten Paragrafen des Mediationsgesetzes.

Aber wie sieht ein Mediationsverfahren idealerweise aus? Nachdem ein Arbeitsbündnis geschlossen ist und Fragen zu Kommunikationsregeln, Kosten und Vertraulichkeit geklärt sind, werden die Punkte gesammelt, die zum Streit führten. Nun erfolgt eine Sachverhaltsermittlung: Wie ist der Status quo? Zum Beispiel bei Scheidungsfällen: Wie viel Geld kommt rein? Wer braucht was zum Leben? Der Knackpunkt liegt in der vierten Phase: Hier soll zu den Hintergründen starrer Positionen gelangt werden. Nicht: „Du sollst nicht durch meine saubere Küche laufen!“ Sondern: „Ich mag es, wenn die Küche sauber ist, denn da steckt viel Arbeit drin.“ Danach werden die denkbaren Lösungsoptionen aufgeschrieben. Am Ende gibt’s die Vereinbarung, mit der es dann zur Rechtsberatung geht, um den Vertrag auf juristische Lücken überprüfen zu lassen.

Auch wenn die Mediation in Deutschland noch jung sei, steige die Nachfrage nach ihr extrem, besonders seit der Verfassung des Mediationsgesetzes 2012, sagt Gernot Barth, Geschäftsführer und stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Forums für Mediation (DFFM), ein Dachverband deutschlandweiter Ausbildungsinstitute. Er selber mediiert Familien- und Wirtschaftsfälle. Neben dem öffentlichen Bereich seien das laut Barth und Donat Haupteinsatzbereiche für die Mediatoren. Gerade bei zwischenbetrieblichen Konflikten im internationalen Raum wird vermehrt auf Mediation gesetzt, da man so auf einen Abgleich der unterschiedlichen Wirtschaftsrechte verzichten kann. Bekannte Leuchtturmprojekte sind die Planungen um die Flughäfen Frankfurt, München und Berlin-Schönefeld.

Barth mediiert nicht nur, sondern bildet auch angehende Mediatoren an der Steinbeis-Hochschule Berlin aus. Sie ist dem DFFM angehörig. Das DFFM brachte ein Ausbildungscurriculum ein, welches Grundlage einer Rechtsverordnung wurde, die noch verabschiedet werden muss. „Wenn alle Vögel wieder auf ihren Ästen sitzen, also die Ämter nach der Bundestagswahl besetzt sind, wird die entsprechende Rechtsverordnung kommen“, sagt Barth. Und dann wird es den „zertifizierten Mediator“ auch als geschützte Bezeichnung geben.

Die zertifizierte Ausbildung sieht eine Lernzeit von 120 Stunden vor und wird rechtsrelevantes Wissen, Kommunikationspsychologie, Verhandlungstheorie und -verhalten sowie soziologische Theorie beinhalten. Außerdem wird die Haltung des Mediators trainiert. „Er muss lernen, alle Parteien wertzuschätzen und zu achten, die Außenperspektive einzunehmen und es zu unterlassen, Lösungen vorzuschlagen“, sagt Barth. Methoden wie Spiegeln, Zusammenfassen, aktives Zuhören, Verhandeln sind wichtige Säulen in der Ausbildung. Rollenspiele stehen dabei überall im Mittelpunkt. Je nachdem, in welchen Bereichen man sich spezialisieren möchte, sind Vertiefungsseminare über die 120 Stunden hinaus möglich. Die Basis von 120 Ausbildungsstunden ist nach Meinung sowohl von Barth als auch von Donat freilich zu kurz; sie fordern die Vermittlung der Lerninhalte in 200 Stunden.

Damit folgen sie den drei großen Bundesverbänden für Mediation, in denen sich deutschlandweit Mediatoren zusammenschließen: die Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation (BAFM), den Bundesverband Mediation (BM) und den Bundesverband für Mediation in Wirtschaft und Arbeitswelt (BMWA). Sie bilden schon heute nach dem kommenden Ausbildungscurriculum aus, nur eben verteilt auf 200 Stunden. Wird der „zertifizierte Mediator“ kommen und Interessenten dennoch eine 200-stündige Ausbildung absolvieren, wird das extra gekennzeichnet.

In den Bundesverbänden wird besonders auf Interdisziplinarität und Teamteaching geachtet. Das bedeutet, dass die Auszubildenden aus den unterschiedlichsten Berufsbereichen stammen und sich gegenseitig geistig befruchten: Juristen, Sozialarbeiter, Psychologen, Lehrer, Betriebsräte. Eine 200-stündige Ausbildung kostet zwischen 2.000 und 6.000 Euro. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) bildet zum teuersten Preis aus. In Berlin finden sich laut Barth die günstigsten Ausbildungsangebote Deutschlands.

Wie viel eine 120-stündige Ausbildung nach der Verabschiedung der Rechtsverordnung kosten wird, ist noch unklar. Das Mediatoren-Honorar ist ebenfalls noch nicht festgelegt und schwankt momentan zwischen 50 Euro pro Stunde bis hin zu Honoraren eines Wirtschaftsanwalts.

3. Hamburger Mediationstag mit Infoständen, Podiumsdiskussionen und Workshops zum Thema „Mediation zwischen Krach und Konsens – Wie wollen wir in Hamburg in Zukunft Konflikte lösen?“: 16. Oktober, ab 9 Uhr, Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Informationen: www.hamburger-mediationstag.de