Ananas, den Herzen entgegenfliegend

POWERPOP-PSYCHEDELIC Wenn Teenagersehnsüchte in den Songs einer Band kumulieren: Die Kids sind united und begeistert beim Konzert des New Yorker Duos MGMT im Astra. Die Band lässt die Südfrucht fliegen

Auf der Liste stehen sie noch vor Franz Ferdinand oder Bloc Party. „Time to Pretend“, „Kids“ und „Electric Feel“ sind die Lieder, die in jeder Indiedisco früher oder später die Tanzfläche beschallen. Sie versammeln quirlige Synthesizermelodien, die die Leute jedes Mal aufs Neue zum Tanzen bringen. Sie sind so eingängig und wurden so oft gespielt, dass sie den Leuten inzwischen eigentlich zum Hals heraushängen müssten.

Zumindest aber doch den beiden Gründungsmitgliedern der New Yorker Band MGMT (Kurzform von Management), die sie geschrieben haben. Doch Andrew VanWyngarden, Ben Goldwasser und ihre Livebesetzung spielen die Songs auch an diesem Abend im Astra wieder.

Da darf es einen nicht wundern, dass ihre Beine nur noch müde zur Melodie zucken, als die ersten Töne von „Time to Pretend“ angestimmt werden. Doch die Begeisterung übernimmt gern das Publikum, das anfängt zu kreischen und die Smartphones zu zücken – das Gerät, das im Laufe des Abends als stichhaltiges Beliebtheitsbarometer dient: Je populärer die Songs, desto mehr blinkende Aufnahmezeichen sind zu sehen.

Der Sieger des Abends ist „Kids“, zehn Handys wedeln allein im unmittelbaren Umkreis von zwei Metern vor den Gesichtern. Manche der verwackelten Handyaufnahmen finden sich vielleicht auf YouTube oder in den Social Networks wieder, sie schicken die Songs damit weiter auf eine Reise, die sie schon an allerhand Plätze führte. So stattete „Kids“ nicht nur die meisten Jugendzimmer oder Clubs musikalisch aus, sondern auch die Dokumentation „American Teen“, Werbemusik von Nokia und zahlreiche Jugendsendungen wie „Gossip Girl“ oder „The Vampire Diaries“.

MGMT wurden so nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Oracular Spectacular“ 2007 zum Allgemeinplatz einer Teenagersehnsucht. „This is our decision, to live fast and die young. We’ve got the vision, now let’s have some fun.“ Doch seitdem haben die Musiker alles versucht, diese Marktplätze zu zerschlagen und die Hörer in die verwinkelten Ecken ihrer psychedelischen Songstrukturen zu schicken.

Inzwischen mäandern ihre Tracks schon mal in minutenlangen Hallräumen vor sich hin oder werden mit Flötensoli angereichert. So auch auf dem selbst betitelten dritten Album, das gerade erschienen ist. Zwar finden sich auch hier wieder einige prägnante Melodien, deren lose Enden verfransen jedoch immer wieder in Echo- und Halleffekten.

Doch während des Konzerts halten MGMT sich damit zurück und spielen eine gefällige Show, die aus den besten Popsongs der drei Alben besteht. Den Anfang macht „It’s Working“ vom letzten Album „Congratulations“, das ein gutes Beispiel für die raffinierten und gleichsam zugänglichen Harmonien ist, die VanWyngarden und Goldwasser schreiben können.

Die Band spielt noch ein paar mehr dieser smarten, von Gitarren dominierten Midtempo-Stücke, in denen die Rhythmen nur moderat gewechselt werden. Die eingängig sind und die Klebrigkeit der eingangs erwähnten Singles dennoch verwerfen. Damit erinnert ihre Musik an die Harmonien des Powerpop und an die frühe Psychedelik der 1960er Jahre, der die Musiker auf ihrem neuen Album mit „Introspection“ von Faine Jade auch ein bunt flirrendes Cover gewidmet haben. Doch bei aller Nostalgie lebt das Popverständnis der New Yorker Musiker auch von seiner ironischen Ausstattung. Den Hintergrund der Bühne ziert eine Bildershow voller prismatischer Neonmuster, Aliens oder hüpfender Pilze

Und auch zu anderen Gelegenheiten karikieren MGMT die Insignien des Psychedelic Rock: Vor ein paar Wochen kleidete Sänger VanWyngarden sich in der Late-Night-Show von David Letterman mit einer glitzernden, sternförmigen Sonnenbrille, einer Knochenkette und einem langen Strickumhang. Und weil die Babykatzen, mit denen MGMT sonst gerne posieren, nicht besonders tourtauglich sind, schmeißen sie in Berlin eben eine Ananas ins Publikum. Eigentlich ein ganz schön gefährliches Wurfgeschoss.

Die Fans sehen das wohl anders. Die neblige Silhouette der ersten Reihen ist nicht nur von zackigen Blättern der Obstpflanze durchzogen, sondern zahlreiche Finger formen sich dort auch zu Herzen.

Solange sie auf ihren Konzerten immer noch „Kids“ spielt, darf die Band wohl machen, was sie will. Ihre Fans werden ihr immer dankbar sein.

LISA FORSTER