Weniger Nadeln

von SABINE AM ORDE
und SASCHA TEGTMEIER

Einige Akupunktur-Patienten müssen sich darauf einstellen, dass ihre Therapie künftig nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert wird. Das ist das Ergebnis eines Beschlusses, den der Gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen und Ärzten gestern verkündet hat – und der eigentlich einen Fortschritt bei der Finanzierung von Akupunktur für Kassenpatienten darstellt. Denn erstmals wird in bestimmten Fällen die chinesische Nadeltherapie als Regelleistung der Krankenkassen anerkannt. „Dennoch ist es im Ergebnis eine Einschränkung“, sagte gestern der Ausschussvorsitzende Rainer Hess.

Der Gemeinsame Bundesausschuss, das wichtigste Gremium der medizinischen Selbstverwaltung in Deutschland, legt fest, welche Leistungen von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden. Das Gremium hatte am Vorabend beschlossen, Akupunktur bei Rücken- und Knieschmerzen erstmals in den Leistungskatalog der Kassen aufzunehmen. Damit haben betroffene Patienten unter bestimmten Bedingungen darauf Anspruch.

Seit dem Jahr 2000 allerdings wurde die Nadeltherapie im Rahmen von Modellversuchen für praktisch alle gesetzlich Versicherten mit Rücken-, Knie- und auch Kopfschmerzen bezahlt, sagte Hess. Das wird nun nicht mehr der Fall sein: Für Spannungskopfschmerzen und Migräne wird Akupunktur nicht in den Leistungskatalog aufgenommen. Das heißt: Die Kassen dürfen diese Therapie nun nicht mehr bezahlen.

Bislang haben die Kassen nach eigenen Angaben jährlich 300 Millionen Euro für die Modellversuche ausgegeben. Unter den neuen Bedingungen sei nur noch mit 100 Millionen Euro jährlich zu rechnen, schätzt der Chef der Innungskrankenkassen, Rolf Stuppart.

Nach Angaben des Ausschusses basiert die Entscheidung auf den Ergebnissen zweier Modellprojekte. Dabei sei die Wirksamkeit der traditionellen chinesischen Akupunktur mit Nadeln zur Behandlung von Rücken-, Knie und Kopfschmerzen getestet worden. Bei Kopfschmerzen habe sich in den Versuchen keine Überlegenheit der Akupunktur gegenüber herkömmlicher Schmerztherapie erwiesen. Dies sei aber bei den Rücken- und Knieschmerzen der Fall gewesen. Hierbei hätten die Versuche ergeben, dass die klassische Akupunktur zwar keinen Vorteil gegenüber einer „Schein-Akupunktur“ habe, bei der Nadeln willkürlich gesetzt werden. Beide Akupunktur-Methoden hätten sich aber als wirksamer erwiesen als die herkömmliche Schmerztherapie mit Medikamenten. Deshalb habe man die Methode den Kassenpatienten nicht vorenthalten wollen, sagte Hess.

Allerdings muss auch die Behandlung von Knie- und Rückenschmerzen strenge Vorgaben einhalten, bevor die Kasse zahlt. Die Patienten müssen ihre Beschwerden bereits mindestens sechs Monate haben, bevor Akupunktur als Kassenleistung in Frage kommt. Und die Ärzte brauchen erhebliche Zusatzqualifikationen, über die bislang kaum jemand verfügt.

Der AOK-Bundesverband begrüßte gestern die Entscheidung. „Die Akupunktur ist ein wichtiger Baustein in der Schmerztherapie“, betont Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) begrüßte zwar die verbindliche Regelung bei Knie- und Rückenschmerzen. Bei Kopfschmerzen und Migräne bedeute die Entscheidung jedoch „einen Rückschritt für Methodenvielfalt in der Schmerztherapie“, sagte vzbv-Gesundheitsfachmann Stefan Etgeton, Patientenvertreter im Ausschuss. Ähnlich sieht es die Siemens-Betriebskrankenkasse. „Selbst die vergleichsweise hohen Behandlungskosten wurden durch die dokumentierten Behandlungserfolge gerechtfertigt“, erklärte Vorstandsmitglied Gertrud Demmler.

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