Liebesgrüße nach Russland

SOLIDARITÄT Mit einem Konzert wird die Einhaltung der Menschenrechte in Russland angemahnt. Denn Musik kann sprechen

Das Motto des Abends soll ein Gruß sein, wie auf einer Postkarte: „To Russia with Love“. Zuneigung zu einem großen Land wird darin zum Ausdruck gebracht. Aber auch die Sorge, dass dort etwas nicht stimmt, dass Bespitzelung, Gängelung und Angst die neue alte Wirklichkeit in Russland ist. Dass Menschenrechte abgeschafft werden, die Zivilgesellschaft zerstört, die Demokratie ausgehöhlt wird.

„Sehr geehrter Herr Vorsitzender“ lautet die Anrede auf der Postkarte – der Vorsitzende der russischen Staatsduma Sergei Jewgeniewitsch Naryschkin ist gemeint. Ihm wird die Sorge um Russland mitgeteilt und er wird aufgefordert, das Gesetz, das die Nichtregierungsorganisationen dort zwingt, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, zurückzunehmen. Denn damit werde jede Bemühung um eine zivile Gesellschaft in Russland diskreditiert.

Die Postkarte steht als riesiges Plakat im Foyer der Philharmonie. Hunderte unterschrieben anlässlich des Solidaritätskonzertes zugunsten der russischen NGOs, das dort am Montag stattfand. Am 7. Oktober. Am Jahrestag der Ermordung von Anna Politkowskaja, der Journalistin und Menschenrechtsaktivistin. Der 7. Oktober ist auch Putins Geburtstag. Politkowskajas Tod: ein Geschenk an ihn.

Herta Müller, die Literaturnobelpreisträgerin, ließ in ihrer Grußbotschaft vor dem Konzert keinen Zweifel. Putin kündigte die Diktatur des Gesetzes an, „seines Gesetzes“, sagte Müller. Für Putin sei Diktatur kein schlechtes Wort.

Leidenschafts- und Albtraummusik

Das Programm des Solidaritätskonzerts, vom Geiger Gidon Kremer initiiert und mit dem Orchester Kremerata Baltica aufgeführt, vereinte alle Kraft und Leidenschaft der zeitgenössischen und klassischen Werke meist russischer Komponisten.

Und was für eine Musik das war: Angefangen mit einer Komposition von Mieczsylaw Weinberg, die jede unbekümmerte Melodie mit einem Grollen unterlegt: wie Verderbnismusik, Kriegsmusik, Doomsday. Oder Sofia Gubaidulinas „Sieben letzte Worte“, Satz 3, „Wahrlich ich sage Dir, heute wirst Du mit mir im Paradiese sein“. Aber es war kein harmonisches Paradies, vielmehr fauchte das Akkordeon, die Violinen schufen kein Herzerweichen, keine Harmonie.

Das Stück von Arvo Pärt, diesem Sucher nach dem reinen Ton, wiederum verschmolz mit einer Komposition „The angels of sorrow“ von Giya Kancheli, die taktschlagender Albtraummusik sehr nahe kam. Kancheli widmete diese Arbeit dem inhaftierten Regimekritiker Michail Chodorkowski zum 50. Geburtstag.

Nach der Pause wurden Werke älterer Komponisten interpretiert. Phänomenal dabei die 1987 in Tiflis geborenen Pianistin Khatia Buniatshvili, die eine Prokofjew-Attacke, eine Sonate, spielte, die zum Luftanhalten zwang, das sich erst in brechendem Applaus löste. Und dann noch eine Steigerung: Die fast fünfzig Jahre ältere Pianistin Martha Argerich interpretierte – zusammen mit dem Orchester – nicht weniger heftig Schostakowitsch. Und am Ende noch die freudige Disziplinlosigkeit der Filmmusik „Target“ von Leonid Desyatnikov. Da endlich war sie: die Freiheit. WALTRAUD SCHWAB

■ Auf der Arte-Webseite liveweb.arte.tv/de/video/To_Russia_With_ Love/ ist das grandiose Konzert noch 28 Tage zu sehen und zu hören