Liebeskummer ist geschlechtsneutral

ERZÄHLUNGEN Paare erträgt sie nur noch in Form von Schuhen: „Verficktes Herz“ von Nora Gantenbrink

Die Liebe ist etwas Alltägliches, das sich in verschiedenen Kleidern schmückt. Sie wird zur Gewohnheit, wenn man sie in der Form einer Beziehung erlebt. Wenn diese Gewohnheit wegbricht, hat man das Gefühl, nackt zu sein. Menschen versuchen dann, dieses Gefühl zu verbalisieren, und enden darin, in Selbstmitleid zu zerfließen. Die 27 Jahre alte Journalistin und Autorin Nora Gantenbrink ist eine weitere Person in der Literaturgeschichte, die sich an genau dieser Verbalisierung versucht hat. Daraus entstanden ist ein Erstlingswerk, das sie auf den Namen „Verficktes Herz“ getauft hat. Die Liebe zeigt sich in den Geschichten im dunklen Gewand. Denn das Herz wollte ja nur eines: für immer geliebt werden.

Ein Erzählstoff, der schnell ins Pathetische abrutschen kann. Allerdings nicht bei Nora Gantenbrink. In 14 Kurzgeschichten eröffnet die Autorin ein breites Spektrum an gescheiterten Beziehungen. In kurzen, eindringlichen Sätzen beschreibt sie in ihrer ersten Geschichte, die den Titel des Buches trägt, das Leiden ihrer Figur, deren Geschlecht nicht genannt wird. Und das muss es auch nicht, denn Liebeskummer ist geschlechtsneutral. „Ich bin Werther, alle sind Werther, die Frage ist bloß, wann“, resümiert die Figur.

Jeder kennt das Gefühl der Ohnmacht, wenn die Droge Liebe plötzlich entzogen wird. Wenn man sich diesem oft besungenen, umschriebenen und individuell erlebten Gefühl widmet, ist es wichtig, dass der Ton beim Rezipienten Empathie hervorruft oder eine Erinnerung reanimiert. Das gelingt Nora Gantenbrink. Wenn im Buch ein Satz wie „Du sprühtest mir Otter an die Hauswand, weil ich Otter liebe und du sprühen“ fällt, so ist das zwar eine einfache, aber originelle Reminiszenz an eine Person, die gegangen ist.

Alle Geschichten beginnen in medias res. Die Protagonisten glänzen kurz wie ein Feuerwerk auf, bevor sie für immer verschwinden. So hat man das Gefühl, innerhalb weniger Seiten einen sehr eindrücklichen Einblick in die Intimsphäre einer Person bekommen zu haben, vor allem deswegen, weil sich die Zeilen wie Auszüge aus einem Tagebuch lesen. „Du führst einen Alltag auf Repeattaste. Ich will aber nicht Zeitzeuge einer Warteschleife sein“, heißt es dabei bildlich in „Höhlentage“.

Die komplexeste Geschichte in „Verficktes Herz“ nennt sich „Wal/Wasser/Plankton“. Dabei befindet sich die Protagonistin Rosa bei einer Psychiaterin, die ihr hilft, über den Tod ihres verunglückten Freundes hinwegzukommen. „Mein Leben ist ein Gerüst aus erlernten Rationalitäten“, beschreibt Rosa kurz und prägnant ihr Innenleben. Paare ertrage sie nur noch in Form von Schuhen. Das Besondere an dieser Geschichte sind die eingebauten Rückblenden aus dem Erinnerungsschatz der Protagonistin und die dadurch entstehende Emotionalisierung des Lesers. Am Ende wird der psychische Befund von Rosa präsentiert, wobei die Erzählperspektive auf die Psychiaterin wechselt. Als diese ihre Praxis verlässt, bemerkt sie einen jungen Mann, der aus einem Auto aussteigt. Er sieht aus wie Noras Freund. Das Kfz-Zeichen trägt zudem die Initialen des Verunglückten, über den sie gesprochen hatten. Beim Leser bleibt ein Gefühl der Verwirrung zurück. Plötzlich zweifelt man an, ob die leidende Rosa die ganze Wahrheit gesagt hat. Aufgelöst wird diese Frage nicht.

Mit „Verficktes Herz“ hat es Nora Gantenbrink geschafft, dem Scheitern von zwischenmenschlichen Beziehungen verschiedene ansehnliche Gesichter zu geben. Sie zeigt auch, dass der Misserfolg einer geschwisterlichen und freundschaftlichen Liebe gleich schwer wiegt wie der Bruch einer Partnerschaft und dass es die unterschiedlichsten Gründe gibt, warum diese nicht mehr funktionieren können. Ihr erstes Buch zeichnet sich durch Feinfühligkeit und Nähe zur Realität aus. Und am Ende sieht sich der Leser als einer von vielen. Als Nackter zwischen Nackten.

LISA MAUCHER

Nora Gantenbrink: „Verficktes Herz“. Rowohlt, Reinbek 2013, 192 Seiten, 12,99 Euro