Schlecht geliebt, heftig begehrt

PSYCHOTHRILLER Mit trockenem, bisweilen sarkastischem Humor nähert sich Julia Deck den absurden Seiten zwischenmenschlicher Beziehungen: „Viviane Élisabeth Fauville“

Was Spaß macht, ist Julia Decks boshafte Sezierung der gehobenen Pariser Bourgeoisie

VON NINA APIN

Viviane macht in der Küche Omelette, sie bringt ihre Tochter ins Bett, geht zur Maniküre und zweimal die Woche zum Psychoanalytiker. Die 42-jährige Kommunikationsbeauftragte der Firma Bétons Biron hat offenbar ein Problem. Das Scheitern der Ehe, der Tod der Mutter? Jedenfalls erleidet die toughe Pariserin immer wieder Schwächeanfälle mit anschließendem Gedächtnisverlust. Wer ist diese Viviane, die seit ihrer Scheidung vom schönen Julien nicht mehr Hermant, sondern wieder Fauville heißt? Und was hat sie getan?

Die französische Autorin Julia Deck umkreist die Protagonistin ihres gleichnamigen Erstlingsromans „Viviane Élisabeth Fauville“ mit Vorsicht. Viviane wird direkt angesprochen, allerdings mit einem distanzierten „Sie“. Vielleicht, weil das Distanzierte zum Habitus des Pariser Bürgertums gehört. Vielleicht aber auch, weil die Frau, die in einer Zweizimmerwohnung an der Gare de l’Est mit ihrer Rolle als alleinerziehende Mutter hadert, gefährlich ist. Und nicht ganz bei Sinnen. Die Zweifel werden ganz am Anfang gesät: noch bevor Vivienne den Tag beginnt, duscht, beim Bereiten des Omeletts über den Verlust des Familiengeschirrs und ihre mangelnden hausfraulichen Tätigkeiten sinniert. Noch bevor sich irgendeine Art von Normalität einstellen kann, erscheint die Frau bereits verdächtig: „Sie haben das Gefühl, vor vier oder fünf Stunden etwas getan zu haben, was Sie nicht hätten tun sollen.“

Einiges spricht dafür, dass Viviane ihren Psychoanalytiker erstochen hat. Mit einem Messer der Marke Henckels Zwilling, Serie Twin Perfection, einem Hochzeitsgeschenk. Wie sie das achtteilige Messer-Set aus der ehemaligen gemeinsamen Wohnung mitgenommen hat, wird beschrieben wie in einem Psychogramm, das versucht, die Innensicht der Täterin nachzuvollziehen: „Es gibt beim besten Willen keinen Grund, warum dieser Mann, der Sie so schlecht geliebt hat, den Sie so heftig begehrt haben und der Sie derart enttäuscht hat, das achtteilige Küchenmesser-Set behalten sollte, das Ihre Mutter Ihnen zu dieser Gelegenheit geschenkt hat.“

Während Viviane versucht, ihre partiell ausgelöschte Erinnerung an den Abend des 16. November zu rekonstruieren, versucht auch die Polizei, den Mord aufzudecken. Eine Jagd beginnt, die auch die schwangere Geliebte des Psychoanalytikers, seine Witwe und deren Langzeitgeliebten umfasst. Während sich der Kreis der Verdächtigen beständig ausweitet, verhält sich Viviane immer unberechenbarer: Sie lauert der Schwangeren auf, unterhält sich mit ihrer toten Mutter, lässt ihr Kind allein im Hotelzimmer zurück, verabreicht ihm Beruhigungsmittel. Wahn, postnatale Depression oder einfach die ganz normale Krise?

Die Erzählperspektive fängt nun an, beständig zu kippeln. Vom unpersönlichen „man“ ins „ich“ und wieder zurück zum „Sie“ – mit der Folge, dass man diese rätselhafte Figur, der mit sämtlichen Kniffen der Erzähltechnik nicht beizukommen ist, immer interessanter findet. Und durchaus nicht unsympathisch: „Da hat man nun dieses Kind auf dem Arm, von dem man sich fragt, wie es dort hingekommen ist. (…) Mitten in dem hoffnungslos leeren Zimmer überlegten wir, was wir tun könnten, um so viel Liebe zu verdienen. Man müsste wohl Dekorationsmaßnahmen treffen, Möbelkataloge wälzen, Nippes anschaffen, unseren Mutterinstinkt an der Glut des Herdes schüren. Wir tun nichts, sind so reglos, wie wir es schon immer waren.“

Mit Lakonie und trockenem, bisweilen sarkastischem Humor nähert sich Julia Deck den absurden Seiten zwischenmenschlicher Beziehungen. Der Kriminalplot ist dabei nur vordergründig. Was Spaß macht, ist Decks boshafte Sezierung der gehobenen Pariser Bourgeoisie: die naive Geliebte vom Lande, der eitle Professor und seine Gattin, die ihn verachtet, aber ihm dennoch seine Studien schreibt. Dies ist das Milieu, an dessen Erwartungen Viviane scheitert – und sich schließlich auf überraschende Weise neu zusammensetzt.

Julia Deck: „Viviane Élisabeth Fauville“. Aus dem Französischen von Anne Weber. Wagenbach, Berlin 2013, 144 Seiten, 16,90 Euro